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Djokovic feiert seinen Triumph in Paris.

Foto: AP/Christophe Archanbault

Paris – Novak Djokovic saß hinter dem mächtigen Coupe de Mousquetaires und begann schon wieder zu träumen. Der 34 Jahre alte Tennis-Dominator aus Serbien hatte gerade erst bei den French Open Geschichte geschrieben, da fasste er tatsächlich den größten aller Coups ins Auge: Den Golden Slam, also in einem Jahr alle vier Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York zu gewinnen und dann auch noch die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen abzuräumen.

"Ich habe einige Dinge erreicht, von denen viele Leute dachten, dass sie für mich nicht möglich wären", sagte der Ausnahmeathlet aus Belgrad nach seinem Fünfsatzsieg gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas: "Alles ist möglich, und ich habe mich in eine gute Position gebracht, um den Golden Slam zu gewinnen."

Auf Grafs Spuren

Diese sportliche Glanzleistung hat es in der Geschichte erst einmal gegeben. Die damals 19 Jahre alte Deutsche Steffi Graf schaffte 1988 erst den "Grand Slam" mit dem Sieg bei allen vier Majors und setzte dann in Seoul den goldenen Schlusspunkt mit einem 6:3, 6:3 gegen die Argentinierin Gabriela Sabatini. Eine einmalige Sache – da waren sich viele Experten einig.

Graf schaffte 1988 den Golden Slam.
Foto: imago images/Laci Perenyi

Jagd auf Nadal und Federer

Doch Djokovic definiert sich darüber, Grenzen zu verschieben, und sein Siegeshunger ist noch nicht einmal ansatzweise gestillt. Er hat neun Mal die Australian Open gewonnen, drei US-Open-Titel und jetzt zwei Trophäen von den French Open. Seine nächste Mission ist es, ab dem 28. Juni Wimbledonsieg Nummer sechs einzufahren. 2018 und 2019 war er auf dem "heiligen Rasen" nicht zu stoppen, im vergangenen Jahr fiel das Turnier der Pandemie zum Opfer. Er ist klarer Favorit.

Djokovic hat bei dem Rasenklassiker erstmals die Chance, nach Grand-Slam-Titeln mit den bisherigen Rekordhaltern Roger Federer (Schweiz) und Rafael (Nadal/beide 20 Titel) gleichzuziehen. Selbst das wird den unersättlichen Titeljäger nicht zähmen, er will vorne liegen, vor seinen langjährigen Rivalen, am liebsten in allen Statistiken.

Sieben Leben

Beim 6:7 (6:8), 2:6, 6:3, 6:2, 6:4 gegen Tsitsipas im Finale von Roland Garros bewies Djokovic einmal mehr seine Ausnahmestellung. Nach den ersten beiden Sätzen wirkte er ermattet, quasi geschlagen – und kam nach einer kurzen Pause wie verwandelt zurück. "Körperlich, in der Antizipation, in seiner Bewegung auf dem Platz – alles fühlte sich viel frischer und viel besser an als vorher", sagte Tsitsipas nach dem Match.

Es wirkt bisweilen so, als habe Djokovic auf dem Tennisplatz sieben Leben. Dennoch ist es selbst für ihn zu einem möglichen Golden Slam noch ein weiter Weg. Das sieht auch Djokovic so. "Ich war 2016 auch in dieser Position. Es endete mit einer Drittrunden-Niederlage in Wimbledon", sagte er.

Zudem ist durch die Verschiebung der French Open die Pause zwischen den beiden Highlights in diesem Jahr enorm kurz. Doch Djokovic wäre nicht Djokovic, würde er nicht dennoch das Maximum ins Auge fassen. "Ich habe kein Problem damit zu sagen, dass ich den Titel in Wimbledon anpeile", sagte er: "Natürlich tue ich das."

Tsitsipas trauert um Großmutter

Tsitsipas hat indes mitgeteilt, dass seine Großmutter kurz vor dem Finale am Sonntag gestorben ist. Der 22-Jährige schrieb in der Nacht zum Montag bei Instagram: "Fünf Minuten vor dem Betreten des Platzes hat meine geliebte Großmutter ihren Kampf mit dem Leben verloren."

"Im Leben geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es geht darum, jeden einzelnen Moment zu genießen, egal ob allein oder mit anderen", schrieb Tsitsipas. "Trophäen in die Luft zu stemmen und Siege zu feiern ist etwas, aber nicht alles."

Der nach dem Match untröstlich wirkende Weltranglisten-Vierte ergänzte neben einem Foto von sich mit dem silbernen Tablett für den unterlegenen Finalisten: "Ich möchte sagen, dass unabhängig vom Tag, den Umständen und der Situation alles ihr gewidmet ist und nur ihr." Er dankte seiner Großmutter dafür, dass sie seinen Vater aufgezogen habe, der auch sein Trainer ist. "Ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen", schrieb Tsitsipas. (sid, APA, red, 14.6.2021)