Dass es das Paul & Vitos in der Wiener Innenstadt gibt, ist auch einem Platzregen in Palma de Mallorca zu verdanken.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Irgendwie fühlt sich das Paul & Vitos gar nicht wienerisch an: ausgesprochen luftige Erscheinung, große Fenster, die zum Gesehenwerden einladen, weltläufige Weinkarte, die mit elegantem Scheißmichnix zwischen Tradition und Rebellion changiert. Und Speisen, bei denen den hierorts unvermeidlichen Sättigungsbeilagen bestenfalls symbolischer Platz eingeräumt wird.

Irgendwie ist das Paul & Vitos aber auch total wienerisch: Stets lehnt ein Kellner am Entrée, um die Kundschaft auf den – sehr gemütlich gepolsterten – Bänken des Schanigartens im Blick zu haben. Aber auch, um vorbeiflanierenden Habitués mit mokanter Verneigung ("D’ Ehre, Herr Direktor!") einen guten Tag zu wünschen.

Das Spannungsfeld entspricht wohl jenem zwischen den Betreibern Eva Maria Wukonigg und ihrem Mann Christian. Er ist als Cafetier im Engländer seit Jahrzehnten ein Fixstern der Wiener Szene, sie wollte Wien ein Lokal schenken, in dem sich die Schönen und Guten auch einmal ein bisserl weiter weg träumen können.

Eröffnet wurde wenige Tage vor dem Lockdown, dementsprechend frisch fühlt sich das Sitzen auf den himbeerroten Sesseln, in den pistaziengrünen Alkoven, auf dem prächtigen Mosaikfliesenboden in Elfenbein-Gold-Grün jetzt an. Endlich reinzudürfen, den Petersplatz draußen vorbeiziehen zu sehen ist ein schönes, gutes Gefühl. Wie ein eingelöstes Versprechen, auf das man lange warten musste.

Natürlich hilft es, ein Glas zum Festhalten zu haben. Den Piquentum von Dimitri Brečević zum Beispiel, einen engmaschig eleganten Malvasier des franko-istrianischen Weinmachers von Naturwein-Legende Giorgio Clai. Die Weinkarte verdient überhaupt Beachtung: So nonchalant, wie ehrwürdige Namen von F. X. Pichler bis Grand-Puy-Lacoste mit verstörend guten Kostbarkeiten wie Christian Tschidas Birdscape da unter einer Budel Platz finden dürfen, möchte man fast glauben, dass es den Glaubenskrieg zwischen neuer und alter Tradition nie gegeben hätte.

Das Essen ist aber der eigentliche Daseinsgrund des Lokals. Schließlich kam den Wukoniggs die Idee in den Ferien auf Mallorca, als es in Palma plötzlich wie aus Schaffeln schüttete und die beiden sich ins nächstbeste Lokal retten mussten. "Die hatten eine Speisekarte, von der man am liebsten alles bestellen wollte", sagt er. "Mediterran, aber auch asiatisch, aus erstklassigen Zutaten, aber leistbar", sagt sie, "und in Portionen, die sich hervorragend zum Speisekarte-rauf-und-runter-Essen eignen." So etwas wollten sie auch für Wien.

Von hier und von da

So geht Essen, das Lust auf den nächsten Teller macht: bisserl scharf, mit gut balancierter Würzkraft und exakten Garpunkten.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dementsprechend weltläufig liest sich die Karte, ein paar wienerische Einsprengsel inbegriffen. Spicy Beef Salad zum Beispiel, hauchdünne Scheiben vom Gesottenen mit Gurken und Erbsenschoten, vor allem aber mit viel Minze, Koriander und anderem Kräuterzeug in köstlich pikantem Zitrusdressing.

Oder Bao von der Ente, mit Gemüse und Entengrammeln obenauf, ein flaumiges Dampfbrötchen mit sehr zart geschmortem Fleisch. So geht Essen, das Lust auf den nächsten Teller, mindestens so aber auf den nächsten Schluck macht: bisserl scharf, mit gut balancierter Würzkraft und exakten Garpunkten.

Taco vom Seesaibling ist noch so ein luxuriöser Happen, wächsern der rohe Fisch, köstlich mariniert das knackige Kraut, knusprig die Hülle aus frittiertem Mais. Schnitzel gibt es auch, so klein, dass sie jederzeit als Fingerfood durchgehen, aber außerordentlich knusprig wie saftig paniert – sehr gut.

Das unvermeidliche Beef Tartare wird mit Erbsencreme hübsch angerichtet, überzeugt im Vergleich aber nur mäßig. Dafür kann es der gegrillte Oktopus-Arm umso besser, zart und saftig, mit exakt abgeschmeckten roten Rüben und Hummus kombiniert, sehr gefällig.

Dessert will man auch, speziell die Topfenknödel mit Butterbröseln und Rhabarber-Himbeer-Röster. (Severin Corti, RONDO, 18.6.2021)

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