Frauen als Führungsfiguren haben in der internationalen Politik oft eine prägende Rolle gespielt: Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka, Golda Meir in Israel, Margaret Thatcher in Großbritannien, Indira Gandhi in Indien und Angela Merkel in Deutschland. Es versteht sich von selbst, dass für Frauen auch in der Politik der Weg zu leitenden Positionen möglicherweise noch schwieriger war als in der Wirtschaft oder im Bildungswesen. Deshalb ist es verständlich, dass bei dem kometenhaften Aufstieg der grünen Politikerin Annalena Baerbock zur deutschen Kanzlerkandidatin, ohne vorherige Erfahrungen in verantwortungsvollen administrativen oder politischen Führungsfunktionen, der anfängliche Erfolg bei den Umfragen gegenüber dem langweiligen und um 20 Jahre älteren CDU-Chef Armin Laschet die Zweifel über ihre Eignung verstummen ließ.

Die grüne Politikerin Annalena Baerbock.
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Ihre "handwerklichen" Fehler, ein geschönter Lebenslauf, nachträgliche Korrekturen sowie nachgemeldete Nebeneinkünfte und öffentliche Auftritte, führten bereits zu einem jähen Absturz Baerbocks in den Beliebtheitsrankings. Trotzdem haben sie 98,5 Prozent der Delegierten beim Parteitag der deutschen Grünen als Spitzenkandidatin bestätigt. Die Warnung Anneliese Rohrers in der Presse (12. 6.) könnte sich aber noch immer als richtig entpuppen: "Wahrscheinlich würde sie sich selbst und der Sache der Frauen in der Politik einen großen Gefallen tun, reagierte sie nun anders als in der Politik üblich: mit Einsicht, eine riesige Chance verspielt zu haben, ergo mit Rückzug in die zweite Reihe."

Beurteilung der Leistungen

Was sie über Schwächen der amtierenden grünen Justizministerin Alma Zadić und kürzlich scharf über das Versagen der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner schrieb, bricht die auch hierzulande oft hemmenden Tabus bei der Beurteilung der Leistungen der Politikerinnen. Warum darf man nicht die auch staatspolitisch bedenkliche Tatsache aussprechen, dass die SPÖ überhaupt keine Gefahr für die geschwächte Kurz-Partei bedeutet, nicht zuletzt deshalb, weil sich ihre Vorsitzende bisher völlig ungeeignet erwiesen hat, die politischen Chancen zu erkennen, geschweige denn sie auszunützen. Dass selbst in der Pandemie ein Politiker entschlossen und glaubwürdig handeln kann, beweist übrigens – auch von politischen Gegnern hinter vorgehaltener Hand anerkannt – der Wiener Bürgermeister und stellvertretende SPÖ-Vorsitzende Michael Ludwig.

Was die Frauen in der Politik betrifft, hat Zadić trotz ihres bewundernswerten Aufstiegs vom bosnischen Flüchtlingsmädchen zur Justizministerin die mit ihr verbundenen Hoffnungen zumindest in der Außenwirkung für ihre Partei noch nicht erfüllt. Zum Gesamtbild der österreichischen Politikerinnen gehört aber auch die – in den Medien viel zu seltene – Anerkennung für die rhetorisch glänzende Argumentation und das schwungvolle Auftreten der Vollblutpolitikerin und Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger.

Das Grundproblem der Politik sei die Dummheit, schrieb einmal der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk. Die Diskriminierung der Frauen und die Unterschätzung ihrer politischen Urteilskraft gehören ebenso zu diesem Grundproblem wie die geschlechtsspezifische Zurückhaltung bei der Wertung der Politikerinnen. (Paul Lendvai, 15.6.2021)