Wollte immer schon Schriftsteller werden: Scott McClanahan.

Foto: Scott McClanahan

Scott McClanahans Familie ist ein wilder Haufen. Kein Wunder, dass der Autor schon mehrere Erzählungen und Romane über sie geschrieben hat. Als erster davon ist vergangenes Jahr Sarah ins Deutsche übersetzt worden, und er erzählt mehr oder weniger autobiografisch von der Ehe des Autors und deren Scheitern. Des Erfolgs wegen durfte Clemens J. Setz nun auch das ebenso autofiktionale Vorgängerbuch übersetzen: Crap handelt von McClanahans Jugend. Er habe sich an die Menschen erinnern wollen, die ihm etwas bedeuten, meint der Autor.

Da ist etwa Stanley, der schimpft, dass Schwule inzwischen heiraten dürfen, aber er zum Quad-Fahren Helm tragen muss. Da ist der depressive Onkel, dem die Dämonen per Heilprediger ausgetrieben werden sollten. Da ist das Kind, das lacht, wenn ihm vom Vater ins Gesicht geschlagen wird. Die vordersten Ränge nehmen in der Konkurrenz um den Platz an der Erzählsonne aber des Autors Großmutter Ruby und Onkel Nathan ein.

Familiäre Dämonen

Ruby setzt immer ihren Kopf durch und braucht viel Aufmerksamkeit, dafür erfindet sie schon mal Krankheiten und lässt sich dann im Rettungswagen zum Einkaufen fahren. Wenn sie von schrecklichen Dingen erzählt, erwähnt sie stets auch Scotts Einzug bei ihr und Nathan, ihrem spastisch gelähmten Sohn. Dem muss Scott Bier in den Schlauch der Magensonde schütten. Wozu es trinken, wenn es so schneller ins Blut kommt? Für Scott hat er das "zarteste" Herz, das er kennt.

Zwischen muffigen Verhältnissen, absurder Komik und viel Zuneigung eröffnet McClanahan ein Spannungsfeld, das seinen Kontrastreichtum oft jedoch literarischer Ausschmückung verdankt. Im Nachwort (die Erklärungen, warum und wie er Motive verschoben hat, haben eine eigene nachdenkliche Qualität) räumt der Autor ein, dass etwa die Szene mit dem Bier nie stattgefunden hat. Überhaupt erscheint die Lage im Buch wilder als die Realität: mehr White Trash, sozial prekärer.

Doch wird die Zartheit durch die Zuspitzungen eben umso stärker. "Crap, also Scheiße, düngt die Erde, und dann wachsen Blumen", erklärt sich an einer Stelle das poetische Prinzip. Nach Rubys und Nathans Tod wird Scotts Freund Bill zentral für die Geschichte und bringt Zwangsstörungen, konfuse Körperbilder, eskalierende Liebe mit sich.

Offenheit und Künstlichkeit

McClanahan (42) gilt als Außenseiter der US-Literaturszene. Er war auf keiner Schreibschule, lebt nach wie vor im ländlichen West Virginia und findet dort auch seine Themen. So hat er schon von Naturzerstörung durch Bergbau in seinem Heimatort erzählt. Die Männer der Gegend arbeiten üblicherweise in Stahlwerken, wenige aus der Familie schafften es weiter weg.

McClanahans Traum war es hingegen immer, Schriftsteller zu werden. Wohl wurde Sarah – sein dritter Roman – wegen der marktgängigeren Themenlage zuerst übersetzt. Der lapidare und direkte Ton, das Spiel mit scheinbar schonungsloser Offenheit einerseits und die Künstlichkeit des Textes betonenden Leseranreden andererseits lassen einen aber auch Crap verschlingen. Dass hinter den turbulenten Episoden eigentlich tiefere Empfindungen stehen, kommt oft erst mit Verzögerung beim Leser an. Ihre liebevolle Melancholie klingt nach. (Michael Wurmitzer, 15.6.2021)