Keith David als Bischof James Greenleaf in seiner sonntäglichen Paraderolle, akklamiert von Frau und Familie. Nach außen sehr viel Hui, nach innen noch mehr Pfui. Auf Netflix.

Foto: Oprah Winfrey Network

Memphis, Tennessee, jene legendäre Stadt am Mississippi mit glanzvoller Blues- und Rock-’n’-Roll-Geschichte, liegt rein geografisch in der immerfeuchten subtropischen Klimazone. Dass einen in Memphis fröstelt, ist also höchst ungewöhnlich – es sei denn, man steht unter einer falsch eingestellten Klimaanlage. Dennoch wirkt Grace "Gigi" Greenleaf bei ihrer Ankunft in Memphis, als sei sie gerade in eine Permafrostgegend gereist. Das ist kein Wunder, denn die Freude ihrer Familie, sie zu sehen, hält sich sehr in Grenzen. Da stehen sie aufgereiht, die Mitglieder der Predigerfamilie Greenleaf, auf der opulenten Freitreppe ihrer Residenz, und heißen die abtrünnige Tochter und Schwester äußerst unterkühlt willkommen.

Menschliche Abgründe

Grace wiederum, selbst eine begabte Pastorin, macht kein Hehl daraus, dass dies kein freundlicher Familienbesuch ist. Sie will den Suizid ihrer Schwester Faith aufklären. Der liegt zwar schon länger zurück, aber offenbar findet Grace erst jetzt die Kraft, der Verzweiflung ihrer Schwester auf den Grund zu gehen – mehr Details erfährt man nicht. Stattdessen entwickelt sich in fünf Staffeln eine Familiendrama-Soap der abgründigeren Art, bei der kaum ein heikles Thema ausgelassen wird: Kindesmissbrauch, Ehebruch, Scheidung, Neid, Gier, Verrat, Korruption und das "Problem" Homosexualität.

In der Serie Greenleaf, erstmals ausgestrahlt vor fünf Jahren vom US-Sender OWN, später übernommen von Netflix, dreht sich alles um die ehrgeizige, macht- und geldbewusste schwarze Predigerfamilie Greenleaf rund um deren Patriarchen, "Bischof" James, und dessen Frau, "First Lady Mae" Greenleaf. Die beiden haben in Memphis die Mega Church Calvary aufgebaut, zwischen deren Kirchenbänken und Bibelversen sie allerlei dunkle Geheimnisse verborgen haben. Was auf den ersten Blick wie Dallas und Dynasty mit kirchlichem Hintergrund aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen doch als ein Sittenbild mit Tiefgang der religiösen schwarzen oberen Mittelschicht der USA. Dafür hat im Hintergrund die Eigentümerin des Senders OWN, Oprah Winfrey, gesorgt, die Greenleaf mitproduziert hat und selbst eine kleine Nebenrolle spielt.

Trailer zu "Greenleaf".
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Greenleaf war die erste Produktion von Winfreys damals neu gegründetem Sender – und ihr sei bewusst gewesen, wie riskant eine derartige Unterhaltungsserie sei: "Wer die schwarze Kirche darstellt, trägt sicher eine große Verantwortung, denn sie spielt eine zentrale Rolle in unserer Kultur. Sie ist viel mehr als eine Kirche", sagte Winfrey in einem NZZ-Interview. Während der Zeit der Sklaverei, aber auch noch lange danach war die Kirche das Gemeindezentrum der unterdrückten schwarzen Gemeinschaft. Winfrey: "Unser Kirchenpublikum überprüft dementsprechend jeden Bibelvers, den wir in der Serie verwenden, und passt auf, dass wir seine Toleranzgrenze nicht überschreiten." Ihr sei aber wichtig gewesen, auch die Probleme und Widersprüche der schwarzen Kirchen heutzutage darzustellen. Dies geschieht in der Serie tatsächlich ausgiebig.

So zeigt sich die schwarze Kirchengemeinde von Calvary als eifersüchtig gehütetes "Family-Business", bei dem es um viel Geld geht. Dieses wird von finanziell potenten Kirchenmitgliedern freundlich erschlichen, manche geben auch freiwillig etwas mehr – verbunden mit klaren inhaltlichen Forderungen. Der göttliche Gabentisch ist also üppig gedeckt. Am meisten bedienen darf sich immer, wer die zahlreichen Intrigen am besten spinnt.

Politisches Engagement

Es geht aber auch um Politisches. In der US-amerikanischen Geschichte spielten die schwarzen Kirchengemeinden oft eine revolutionäre Rolle. Sie waren die Wiege der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, berühmte Prediger wie Martin Luther King bewegten Millionen Menschen mit ihrem friedlichen Kampf für Bürgerrechte und Gleichberechtigung. Kings spirituelle Heimatgemeinde, die Ebenezer Baptist Church in Atlanta, gilt bis heute als politisch höchst engagiert – vor allem gegen Rassismus. So wetterte Ebenezer-Pastor Raphael Warnock regelmäßig gegen Donald Trump. Dieses gesellschaftspolitische Engagement verstellt allerdings ein wenig den Blick auf die Schattenseiten der schwarzen Kirchengemeinden. "Schwarze Kirchen sind oft radikal progressiv, wenn es um das Thema Rasse geht – und erzkonservativ in fast allen anderen Fragen", sagte etwa Pastor Warnock einmal zum Deutschlandfunk.

Dies sieht man auch bei Greenleaf. Als der Ehemann einer der Töchter des "Bischofs" seine Homosexualität entdeckt, begibt er sich freiwillig in eine "Konversionstherapie", in der ihm die "falschen Gelüste" mittels ekeliger Tinkturen ausgetrieben werden sollen.

Gregor Jansen, Theologe und Pfarrer in Wien, ist diese Praxis von mehreren Freikirchen bekannt. In der katholischen Kirche werde diese Art von "Umerziehung" zwar nicht praktiziert – aber "es gibt auch bei uns da und dort gewisse Sympathien dafür", sagt Jansen im Serienreif-Podcast des STANDARD zu Greenleaf. Er würde sich wünschen, "dass die katholische Kirche diese Praktiken in Zukunft noch viel stärker ablehnt", sagt Jansen, "es handelt sich um eine Gehirnwäsche gegen alles Sexuelle. Es kommt einem tatsächlich das Grausen."

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"Es handelt sich um eine Gehirnwäsche gegen alles Sexuelle. Es kommt einem tatsächlich das Grausen." Pfarrer Gregor Jansen über "Konversionstherapien" für Homosexuelle, geübte Praxis in vielen Freikirchen – und von der katholischen Kirche nicht immer klar genug abgelehnt
Foto: AP / Vadim Ghirda

Feine Unterschiede

Jansen steht für eine ganz andere Religiosität in der katholischen Kirche. Als der Vatikan die Segnung homosexueller Paare ablehnte, startete er eine europaweit beachtete Solidaritätsaktion: Jansen ließ von der Kirche "seiner" Pfarre Breitenfeld die Regenbogenfahne wehen.

Ein gestörtes Verhältnis zu Homosexualität, sogar Sexualität jenseits der Ehe überhaupt, intrigante Vorstandsmitglieder der Kirchengemeinde, Erbschleicherei und ein rachsüchtiger Rivale: Das macht den Spannungsbogen bei Greenleaf aus – der mitunter freilich auch überzogen wirkt.

Ebenfalls theatralisch: Die sonntägliche Messe in der Calvary-Megakirche muss immer eine gute Show sein. Dafür sorgen nicht nur der "Bischof" und seine Frau, die einander beim Predigen übertrumpfen. Die musikalischen Einlagen, Soli wie Chor, müssen jeden Sonntag überwältigend sein – auch das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied zu vielen katholischen Sonntagsmessen. (Petra Stuiber, 15.6.2021)