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Die Nato hat – nach vier Jahren Unterbrechung mit Donald Trump – wieder ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Feind: "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle", betonte der neue US-Präsident Joe Biden.

Foto: AP / Kevin Lamarque

Nichts verbindet so sehr wie ein gemeinsamer Gegner, den es in Schach zu halten oder im Notfall mit vereinten Kräften zu bekämpfen gilt. Dieser Kitt kollektiver Sicherheit durch Abschreckung hielt die Nato und ihre heute 30 Mitgliedsstaaten seit der Gründung der transatlantischen Verteidigungsallianz gleich nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1948 zusammen.

Im Kalten Krieg galt jahrzehntelang nur der Warschauer Pakt, geführt von der Sowjetunion, als Hauptfeind. Ab 1989 brachen beide zusammen. Dem Zwischenspiel in Freundschaft mit einem neuen Nato-Partner Russland folgte nach der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim ab 2014 eine neue Eiszeit, samt Sanktionen des Westens.

Aber die Zeiten ändern sich weiter, so wie die Pole der Rivalitäten in einer globalisierten Welt. Deshalb hat das Bündnis im Jahr 2021 nun erklärtermaßen gleich zwei Hauptgegner, wie sich aus einer Erklärung der Staats- und Regierungschefs am Montag beim Nato-Gipfel in Brüssel erstmals herauslesen lässt.

Nicht nur die Beziehungen der Allianz zu Wladimir Putins Russland seien derzeit "so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr", wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte. Inzwischen sei China als ernste Bedrohung am Horizont aufgetaucht.

Herausforderung Peking

Das Wort "Feind" wird in den diplomatisch verklausulierten Formulierungen der Allianz natürlich nicht verwendet. Dagegen hätten sich allein schon große europäische Staaten wie Deutschland oder Frankreich verwehrt. Sie sind stets um die EU-Wirtschaftsbeziehungen mit dem riesigen Land in Asien besorgt.

US-Präsident Joe Biden, der wie einige seiner Kollegen direkt vom G7-Treffen der wichtigsten Industrieländer in Cornwall in die Nato- und EU-Hauptstadt angereist war, hätte gerne deutlichere Formulierungen gesehen. So einigte man sich auf Appelle. Die Nato ruft Peking auf, seine internationalen Verpflichtungen einzuhalten, bei den Atomwaffenprogrammen für Transparenz zu sorgen, die Grundrechte einzuhalten, Vertrauen zu schaffen.

Denn: Die Allianz fühlt sich durch den raschen Ausbau der nuklearen Fähigkeiten in China, die erhebliche Anschaffung moderner Waffensysteme ebenso bedroht wie durch Desinformationskampagnen und Hackerangriffe. Was das konkret an Maßnahmen der Allianz bedeute, darauf ging Stoltenberg nicht ein: "Wir treten nicht in einen neuen kalten Krieg ein, China ist nicht unser Gegner, nicht unser Feind."

Das Bündnis will mit den Chinesen, die "systemische Herausforderung für die internationale Ordnung und relevante Bereiche der Sicherheit der Allianz darstellen", einen "konstruktiven Dialog" pflegen. Beim Klimaschutz solle es eine Kooperation geben. Es ist kein Zufall, dass die Probleme mit China beim Gipfel noch vor der Eiszeit mit Russland zur Sprache kamen. Beim letzten Treffen auf höchster Ebene 2019 hatte man sich bezüglich China noch zurückgehalten. Nun wird Peking zum ersten Mal explizit als Problem genannt.

All das geschieht ganz nach dem Geschmack der US-Amerikaner, die China bereits bei der G7 als wichtigste Herausforderung für den Westen identifiziert hatten. Für die europäischen Partner war das erste Zusammentreffen mit Biden in diesem Format ohnehin eine Wohlfühlveranstaltung verglichen mit dem, was sein Vorgänger Donald Trump ihnen seit 2017 geboten hatte: Dieser haute ihnen um die Ohren, dass die meisten vom Ziel, zwei Prozent der Wertschöpfung für Militärausgaben aufzuwenden, weit entfernt seien (nur zehn Nato-Länder halten das ein). Und Trump stellte offen Artikel 5 des Nato-Vertrages, die wechselseitige Beistandspflicht bei einem Angriff von außen, infrage.

Biden nutzte nun das Treffen, um eine erneute 180-Grad-Wende der USA zu versprechen. "Die USA sind wieder da", sagte er, betonte, dass die Beistandspflicht als Kern der Nato für Washington "eine heilige Verpflichtung" darstelle; dass er auf engste Zusammenarbeit mit den Europäern setze. "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle und wird mit einer kollektiven Antwort beantwortet werden", diese Botschaft sandte das Weiße Haus aus.

Bündnisfall auch im Weltall

Was dabei weniger laut betont wird, sich aber seit Trump und dessen Vorgänger Barack Obama nicht verändert hat, ist die Forderung, dass die europäische Säule in der Nato gestärkt werden muss. So beschlossen beim Nato-Gipfel 2014: Die Europäer müssen ihre Ausgaben und Beiträge aufstocken.

Der Gipfel verabschiedete seine erneuerte Doktrin "Strategie 2030". Darin ist neben dem laufenden Programm des Pooling und Sharing, des Zusammenlegens und Teilens militärischer Fähigkeiten, erstmals enthalten, dass der Bündnisfall auch für Angriffe im Weltall gelten soll – etwa bei Attacken auf Satelliten.

Nach dem EU/USA-Gipfel Dienstag trifft Biden am Mittwoch Russlands Präsidenten Putin in Genf, mit einem ganzen Paket an Forderungen seiner Nato-Partner im Gepäck. (Thomas Mayer, 14.6.2021)