Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in der Pflege, zum Beispiel in einem Heim. Dort sind sie die ganze Nacht allein für 60 Menschen verantwortlich. Sie können nicht bei allen gleichzeitig sein, also müssen Sie sich entscheiden: Sorgen Sie dafür, dass der Herr aus Zimmer sieben nicht abhaut, oder helfen Sie lieber der Dame aus Zimmer zwölf, wieder in ihr Bett zu kommen, nachdem sie herausgefallen ist? Aber halt, die Notfallglocke in Zimmer 15 läutet, Schlaganfall.

Unser aller Schicksal wird irgendwann in den Händen von Pflegerinnen und Pflegern liegen.
Foto: imago images/allOver-MEV

Dann vielleicht lieber der mobile Dienst? Angenommen, Sie besuchen diese nette, ältere Dame, um ihr einen Verband zu wechseln. Und in dem Moment, in dem sie zu weinen beginnt, weil sie sich einsam fühlt, müssen sie los, um dem nächsten Klienten am anderen Ende der Stadt beim Duschen zu helfen. Was werden Sie tun, für wen wollen Sie da sein?

Abwägungen derartiger Tragweite sind Alltag für alle Pflegepersonen in diesem Land. Unser aller Schicksal wird irgendwann in ihren Händen liegen, und doch gibt es immer weniger von ihnen. Warum ist das so?

Überlegen Sie nun bitte, wie viel Sie verdienen müssten, um diese emotionalen und körperlichen Strapazen auf sich zu nehmen. Mehr als rund 1.700 Euro netto? Vermutlich.

Den Verdienst zu heben muss der alleroberste Punkt in einer Pflegereform sein – nur so kann der Personalmangel ausgeglichen werden. Doch das wurde verschlafen. Diesen Fehler muss die Politik ausbügeln, und zwar sofort! (Gabriele Scherndl, 15.6.2021)