Der Pavillon vor der niederländischen Großbank ABN AMRO in Amsterdam besteht komplett aus recycelten Materialien – darunter auch Jeans von Bankbeamten.
Foto: Ossip van Duivenbode

"Hosen runter", hieß es für die Mitarbeitenden der niederländischen Großbank ABN AMRO. Dahinter steckte keine Mutprobe, sondern Baustoffherstellung. Der Pavillon "The Circl" vor der Bankenzentrale im Amsterdamer Business-District Zuid besteht ausschließlich aus wiederverwerteten Materialien. Das Holz für den Fußboden kommt aus einem Kloster, die Fliesen aus Recyclingbeton – und die Wärmedämmung eben aus Bankbeamtenjeans.

Das Ergebnis sieht nicht nach Secondhand-Billigbau aus, im Gegenteil, inmitten der teuren Spiegelglasfassaden wirkt es geradezu edel. Konzipiert wurde das grüne Vorbildbauwerk von de Architekten Cie. in Kooperation mit der TU Delft.

"Das ist so etwas wie der Mercedes unter den Recycling-Projekten," sagt Beate Engelhorn, Direktorin des Grazer Hauses der Architektur (HDA). Hier ist zurzeit die Ausstellung "Material Loops – Bestand als Materialressource" zu sehen, und die Amsterdamer Recycling-Bank ist eines von vielen Beispielen für einen der wohl wichtigsten Trends des gegenwärtigen Bauens.

"Die Ausstellung will mit dem Vorurteil aufräumen, dass Recycling aussehen muss wie eine Wellblechhütte," sagt Engelhorn. "Es gibt viele gute Beispiele, die absolut salonfähig sind. Sie sind nur noch viel zu wenig bekannt. Wir können und müssen loslegen, Baunormen reformieren und mehr Experiment und Risiko zulassen.

Wiederverwertung als Prinzip

Warum wir das müssen? Die Bauindustrie ist für jeweils 40 Prozent der Abfallproduktion und der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich, in bestehenden Gebäuden und Baustoffen sind gigantische Mengen an CO2 und Energie gebunden.

Der Gedanke, gut funktionierende Häuser einfach auf den Müll zu werfen, weil sie "in die Jahre gekommen" sind, ein Umbau auf kurze Sicht zu teuer oder der Grund und Boden zu lukrativ geworden ist, wird heute nicht mehr einfach als selbstverständlich abgenickt.

Diese Botschaft ist schon auf höchster Ebene angekommen. Am 16. September 2020 kündigte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, die Einrichtung eines New European Bauhaus an, mit oberster Priorität für die Circular Economy.

Beispiele aus Europa, wie sie in der Grazer Ausstellung versammelt sind, zeigen jetzt schon, was alles möglich ist: Superuse Studios aus Rotterdam mit der Villa Welpeloo, für deren Holzfassade alte Kabeltrommeln verwendet wurden, oder Rotorblätter von Windrädern als Spielgeräte auf Spielplätzen.

Für die Holzfassade der Villa Welpeloo der Superuse Studios aus Rotterdam wurden alte Kabeltrommeln verwendet.
Foto: Allard van der Hoek

Das belgische Architektenkollektiv Rotor und sein Ableger Rotor Deconstruction gelten in der Architekturszene als Pioniere, die mit ihrer Mischung von Planungsbüro, Baumarkt und Materiallager die Wiederverwertung zum Prinzip erhoben haben, sowohl in Praxis als auch in Theorie.

In Wien arbeiten die Materialnomaden und das Baukarussell an ähnlichen Konzepten. Die Hürden sind hier wie dort dieselben: Normen und Gewährleistungen sind nur auf neue Produkte ausgerichtet, und es ist oft schwierig, Lagerflächen für gerettete Bauteile zu finden, da diese nur im Glücksfall direkt von der Abbruch-Baustelle auf die Umbau-Baustelle wandern.

Pionierland Schweiz

Ein Pionierland beim Recycling ist ausgerechnet die ordentliche Schweiz, nicht zuletzt dank Barbara Buser, die schon 1995 den Verein Bauteilbörse Basel und den Dachverband Bauteilnetz Schweiz gründete. Ihr Baubüro in situ plante unter anderem das Projekt K118 in Winterthur, den Um- und Zubau einer 100 Jahre alten Werkshalle, in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Winterthur ZHAW und der ETH Zürich.

Das Ergebnis ist eine veritable Secondhand-Collage. 40 Fenster, eine Außentreppe und die Waschbecken stammen aus einem Zürcher Bürogebäude, das Stahltragwerk aus einem Lebensmittellager in Basel, das Holz von einem Bühnenboden. 500 Tonnen CO2 wurden eingespart, die Baukosten waren nicht teurer als ein Neubau. Für Architekten dreht sich dabei der Entwurfsprozess um, wenn etwa Geschoßhöhen durch eine Stiege definiert werden, die von einem anderen Gebäude stammt.

Auch an den Hochschulen beschäftigt man sich immer mehr mit Umbau und Wiederverwertung. Gleich elf Lehrstühle sowie das Fraunhofer-Institut für Bauphysik und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege bilden die Initiative reused an der TU München.

Hier bringt man so diverse Forschungsgebiete wie Denkmalschutz und Bauphysik auf einen Nenner, denn: "Innerhalb der aktuellen Baupraxis ist Umbau eher eine Ausnahme. Das war nicht immer so. Über Jahrhunderte hinweg war Umbau das übliche architektonische Verfahren. Man konnte es sich einfach nicht leisten, auf bereits Gebautes als vorhandene Ressource zu verzichten."

Kreatives Umdenken

Architekt Andreas Hild vom Münchner Büro Hild und K ist als Professor für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege am Projekt reused beteiligt und ließ seine Studierenden im Wintersemester 2019/20 einen auf den ersten Blick banalen Münchner Straßenzug der 1950er-Jahre erweitern.

"Für den didaktischen Prozess ist förderlich, dass die Straße überwiegend aus einer eher spröden Architektur besteht, die man schon ganz genau betrachten muss, um ihre Qualitäten zu entdecken," schreibt Hild. "Viele zeigen sich anschließend ganz verwundert, wie schön die Häuser eigentlich sind. Die Studierenden entwickeln so Ideen, die jenseits der ausgetretenen Pfade der Architekturheftchen liegen."

"Ressourceneffiziente Materialisierung" lautet auch ein Modul an der TU Wien, bei dem die Kreislaufwirtschaft und das materialsparende Bauen aus konstruktiver Sicht untersucht werden. "Wir beschäftigen uns insbesondere mit Hybriden, das heißt, der Kombination unterschiedlicher Baustoffe," sagt Alireza Fadai, Associate Professor für Resource Efficient Structural Design und Forschungskoordinator am Institut für Architekturwissenschaften, Tragwerksplanung und Ingenieurholzbau. Wichtig dabei ist, dass sich am Ende des Lebenszyklus alle Bauteile wieder auseinandernehmen lassen. Kluge Verschraubung statt Verleimung also.

Auch mit der Stadt Wien wird kooperiert, was den klugen Materialeinsatz betrifft, vor allem im Wohnbau und beim hochaktuellen Thema Urban Mining, also der Beschäftigung mit Stadt als Kreislauf der Materialressourcen. "Grundsätzlich gibt es keine bösen Baustoffe", betont Fadai, "es geht schlicht darum, sie richtig einzusetzen." Das kann Beton, Stahl, Holz und Glas sein – oder eben auch eine Jeans. (Maik Novotny, 20.6.2021)