Durch die aktuellen Regelungen der Agrarpolitik werden Landwirte und Konsumenten gegenübergestellt, obwohl sie eigentlich gleichgerichtete Interessen haben, sagt der Nachhaltigkeitsforscher und Bauer Martin Stuchtey.
Foto: Getty Images / iStockphoto

Das Einhalten von Umweltstandards klingt in etwa so sexy wie die Einführung der Gurtpflicht in Pkws ab den 70er-Jahren. Weil beide Maßnahmen notwendig sind und Leben retten, sollten wir sie trotzdem in Kauf nehmen. CO2-Bepreisungen und Rezyklat-Anteile im Kunststoff sollen so selbstverständlich werden wie Sicherheitsstandards bei Autos, hofft Martin Stuchtey. Als Professor an der Uni Innsbruck forscht er zu nachhaltigem Ressourcenmanagement. Und als Bauer in Osttirol sieht er auch in der Landwirtschaftspolitik großes Verbesserungspotenzial.

STANDARD: Sie verstehen die Kreislaufwirtschaft als einen großen Entwurf zur Dematerialisierung unseres Wohlstands. Was heißt das genau?

Stuchtey: Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was wir als Wohlstand empfinden. Unsere materielle Ausstattung war über weite Phasen ein gutes Maß dafür – insbesondere nach den Weltkriegen und in den Aufholphasen nach großen Krisen, also wenn es darum ging, die materielle Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Ich glaube, heute gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Wohlstand und Fortschritt weiter zu verstehen sind. Da geht es um Aspekte wie Gesundheit, Chancengleichheit, Zugang zu essenziellen Bedürfnissen. Aber insbesondere auch um die Fragen: Wie gut sind unsere Ökosysteme erhalten? Wie gesund sind Nahrungsmittel?

STANDARD: Wie könnte die Transformation mit möglichst wenigen Verliererinnen und Verlierern ablaufen?

Stuchtey: Beispiele aus Schweden und der Schweiz zeigen, dass eine CO2-Abgabe so gestaltet werden kann, dass Einkommensschwache, die relativ wenig CO2 verbrauchen, am Schluss besser dastehen als stärkere Emittenten mit tieferen Taschen. Daneben schaffen wir neue Industrien und Märkte – etwa für negative Emissionen, grünen Wasserstoff, organische Lebensmittel, gesunde Baustoffe. Das sind hochattraktive Quellen für zukünftige Beschäftigung. Nach aller empirischen Forschung ist dieses Schaffen von neuen Märkten für neue nachhaltige Produkte und Dienstleistungen ein Stimulus für Wirtschaft und Innovation, keine Bremse.

STANDARD: Auf Ihren STANDARD-Gastkommentar, der einen "Klimakanzler Kurz" ermutigen sollte, folgte die Kritik, dass die ÖVP und ihre Verknüpfungen mit der Agrar- und Bauindustrie diesem Wandel bestenfalls skeptisch gegenüberstünden.

Stuchtey: Man kann es durchaus kurios finden, wie insbesondere das konservative Lager das politische Kapital des ökologischen Umbaus im Augenblick ungenutzt lässt. Beispiel Bauwirtschaft: Durch nachhaltiges Bauen wird sich der Aufwand vom Heizen in der Nutzungsphase in die Bauphase verlagern, wie durch innovative Baustoffe und Dämmung. Hier gewinnt also eher die Bauindustrie, die man aktuell konservativ vor diesen Veränderungen "schützen" will. Ich halte es für ein tragisches, epochales Missverständnis, dass die ökologische Neuausrichtung von konservativen und marktorientierten Kräften geradezu als Angriff auf wirtschaftliche Interessen wahrgenommen wird. Stattdessen sollte man versuchen, Altindustrien eine Brücke in die Zukunft zu bauen.

STANDARD: Wie sieht es in der Landwirtschaft aus?

Stuchtey: Hier ist es dasselbe. Insbesondere eine konservative landwirtschaftliche Klientel verdient ein würdigeres, moderneres Angebot als das von Flächensubventionen getriebene europäische und österreichische Agrarmodell. Ein Modell, das den nachhaltigen Umgang mit dem Hof belohnt. Es ist inakzeptabel, wie durch den aktuellen Regelungsrahmen Konsumenten und Bauern gegeneinander ausgespielt werden. Dabei haben sie im Großen und Ganzen gleichgerichtete Interessen, nämlich das Land produktiv zu halten, gepflegte Tierbestände mit hohem Tierwohl zu haben, hohe Transparenz über Herkunft und Nutzung von Nahrungsmitteln und Wertschätzung für hochqualitative Produktion.

Martin Stuchtey ist gelernter Geologe, Betriebsökonom und Manager und forscht an der Uni Innsbruck.
Foto: Systemiq

STANDARD: Was wäre hier im Sinne der Kreislaufwirtschaft an Veränderung nötig?

Stuchtey: Um da auszubrechen, muss man die Abhängigkeit von Betriebsmitteln wie Dünger und Pestiziden verringern, über eine bodenfreundlichere Landwirtschaft. Es braucht Märkte, die die höhere Qualität von gesunden Nahrungsmitteln belohnen. Bauern müssen die Möglichkeit bekommen, auch für ihren gesellschaftlichen Beitrag zu den Ökosystemen, also über die Lebensmittelproduktion hinausgehend, bezahlt zu werden: für das Fixieren von CO2 in ihren Böden, das Zurverfügungstellen von Wasserspeicher und für Biodiversität.

STANDARD: Im Zuge der EU-Ziele kehrte die Plastikpfand-Diskussion zurück. Welche Rolle spielt Plastik in der Kreislaufwirtschaft?

Stuchtey: Das Material Plastik nützt uns extrem – bei Hygiene, Haltbarkeit, aufgrund seiner geringen Kosten und des vielseitigen Einsatzes. Es wurde zur Ikone des modernen Wohlstands. Das Problem ist, dass es sich um ein lineares Produkt in einem linearen, nichtzirkulären System handelt. Nur zwei Prozent unserer Verpackungen bestehen aus ehemaligem Plastik, alles andere entweicht durch Verbrennung, in Deponien und Ökosysteme wie den Ozean.

STANDARD: Sie errechneten für das Jahr 2040, dass im Meer auf ein Kilogramm Fisch ein Kilogramm Plastik kommt.

Stuchtey: Einen guten Teil des Verpackungskunststoffs müsste man reduzieren und mehrfach nutzbare Versionen finden – aus biologisch abbaubaren Stoffen oder zirkular, also erneut nutzbar, designt.

STANDARD: Funktioniert das in Zeiten von Bequemlichkeit und Wegwerfmentalität?

Stuchtey: Einerseits stellen wir fest, dass die Leute weniger am Besitz von Produkten interessiert sind, sondern an der Leistung. Dadurch dematerialisieren wir unseren Konsum, es braucht nur die richtigen Angebote für diese Art der Nutzung. Andererseits zeigen wir schon, dass wir bereit sind, unsere Gewohnheiten stark zu verändern, etwa mit E-Autos oder Leihfahrzeugen, pflanzlichen Milchprodukten, veganen Nahrungsmitteln, der Mehrfachnutzung von Wasserflaschen.

STANDARD: Aus einem schlechten ökologischen Gewissen heraus?

Stuchtey: Vor allem, weil die neuen Formen attraktiver, gesünder, passender sind. Damit müssen wir auch an eine neue Ästhetik der Ressourceneffizienz denken: Wo ökologische, ökonomische und ästhetische Argumente zusammenspielen, gelingt die Veränderung am besten. Und auf dieses kreative Potenzial haben viele Menschen Lust. (Julia Sica, 16.6.2021)