Josef Hader, wie man ihn in "Hader on Ice" erlebt: als alternden Babyboomer-Bobo mit Durchblicker-Brille.

Lukas Beck

Nach 17 Jahren, in denen er überwiegend vor der Kamera (als Brenner oder Stefan Zweig) oder regieführend dahinter stand (Wilde Maus), kehrt er nun zu seiner angestammten Kunst, dem Kabarett, zurück: In Hader on Ice (Regie: Petra Dobetsberger) spielt Josef Hader einen von reichlich versteckter Aggression zerrütteten Babyboomer-Bobo, der mit sich und den Verhältnissen unzufrieden ist.

STANDARD: In 17 Jahren ist politisch viel passiert: Warum hat es Sie da nicht schon früher gejuckt, ein neues Kabarettprogramm zu schreiben?

Hader: Das ist erst in den letzten Jahren gekommen. Weil ich da das Gefühl hatte, dass wirklich eine Veränderung passiert. Schon vor Corona sind seltsame Dinge passiert, wo ich mir dachte, jetzt ist der Nachkriegskonsens wirklich vorbei.

STANDARD: Woran machen Sie das zum Beispiel fest?

Hader: Zum einen wurden kriegerische Konflikte wieder in Europa ausgetragen, nicht als Unglücksfall der Geschichte wie in Jugoslawien, sondern aus machtpolitischem Kalkül: Da hat sich jemand etwas überlegt und gesagt, wir lösen einen politischen Konflikt mit Waffen. Das war ganz neu.

STANDARD: Sie sprechen von Putin und der Ukraine?

Hader: Ja. Und das Zweite war ein Anwachsen von Irrationalitäten, also dass der gewinnt, der die bessere Geschichte erzählt, und dass die Realität irgendwie wurscht ist. Es gibt auch immer weniger gemeinsame Realität, auf die sich alle einigen können. Es erinnert mich vieles an die Zeit vor 100 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg: Machtpolitik und die völlig unhinterfragte Verteilung von Reichtum. Mich irritiert, dass das gar nicht mehr als komisch empfunden wird, dass die Allerreichsten keine Steuern zahlen und dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

STANDARD: Der Kulturhistoriker Philipp Blom, der ein Buch über die Jahre vor 1914 geschrieben hat, zieht ebenfalls Parallelen zwischen damals und heute und spricht dabei von einer zweiten großen Krise der Männlichkeit. Ihre Bühnenfigur im neuen Programm ist ja auch mit viel toxischer Männlichkeit gesegnet. Wollten Sie das darstellen?

Hader: Als ich begonnen habe zu schreiben, war Trump gerade auf dem Höhepunkt. Aber es bringt ja nichts, sich hinzustellen und zu sagen, dass der Trump ein Trottel ist. Die Idee war also, dass ich unsere Zeit nicht als Moralist mit dem erhobenen Zeigefinger anpacke, sondern dass ich eine Bühnenfigur schaffe, die alles, was ich kritisieren will, in sich trägt. Es geht natürlich bei diesen Männern immer um Unsicherheit, die dann in Aggression umschlägt. Sie haben es notwendig, jemanden runterzumachen, damit es ihnen gutgeht.

STANDARD: Die Figur ist nun aber kein Trump geworden, sondern eigentlich ein Linksliberaler aus dem Bobobezirk, der in einer zynischen Haltung endet. Ist Zynismus ein Problem?

Hader: Die Figur auf der Bühne ist der Hader, zumindest könnte man das am Anfang glauben. Aber der Zynismus ist eigentlich etwas, das ich nicht unbedingt als etwa Schlechtes empfinde, sondern als eine letzte Form des empörten Protests. Jonathan Swift hat zum Beispiel in einer Hungersnot in Irland gefordert, die Adeligen sollten sich doch die einjährigen Babys der Armen als Braten kaufen, weil dann allen geholfen wäre. Das ist für mich kein kalter Zynismus, sondern eigentlich ultimative Empörung.

STANDARD: Wie viel von Ihnen selbst steckt nun in Ihrer Bühnenfigur?

Hader: Wahrscheinlich doch einiges. Die großen Vorbilder im Erfassen von menschlichen Abgründen sind Helmut Qualtinger und Gerhard Polt. Bei denen habe ich zumindest den Eindruck, dass sie ein Gefühl haben für das, was sie mit ihren Figuren verbindet.

STANDARD: Sie sprechen im Kabarett auch das STANDARD-Onlineforum an, in das sich Ihr Bühnen-Ich hineinbegibt: Haben Sie dort recherchiert?

Hader: Ich bleibe regelmäßig hängen in dem Forum und lese ganz fasziniert alle diese Meinungen. Persönlich würde ich mich aber nicht beteiligen, weil ich mich gerne und gut über etwas ärgern kann. Und wenn ich dem zu viel nachgebe, besteht die Gefahr, dass ich drin versinke.

STANDARD: Sie erhalten in diesem Forum enorm viel positive Resonanz. Warum sind Sie denn gar so beliebt?

Hader: Formal bin ich von der guten amerikanischen Comedy und vom Kabarett inspiriert. Das spricht vielleicht viele an. Und ich bin erfolgreich, aber nicht zu sehr, deswegen mögen mich auch alle Kollegen.

STANDARD: Gefällt den Österreichern vielleicht der Grant als Grundhaltung, den Sie ausstrahlen?

Hader: Ich finde das interessant, dass ich teilweise als grantig und misanthropisch empfunden werde, dabei bin ich eigentlich super gelaunt auf der Bühne. In Wahrheit betreibe ich im schlimmsten Fall so ein lustvolles Sezieren von allem am Menschen, was grauslich ist.

STANDARD: Sie betonten aktuell, dass die heute wichtigste politische Konfliktlinie noch immer die soziale Frage, die Vermögensverteilung, ist ...

Hader: … ich finde schön, dass Sie den Begriff "soziale Frage" verwenden, denn genau so hat man das vor 1914 noch genannt. Es gibt auch eine sehr einfache Verschwörungstheorie, warum diese Frage nie gelöst wird: Die Reichen haben keine Lust darauf zu teilen. Das sagt sogar Warren Buffett, der muss es wissen.

STANDARD: Die politische Linke ist da aber heute zerstritten: Viele stellen Identitätspolitik über die soziale Frage. Sehen Sie diesen Konflikt auch?

Hader: Es ist schlecht für die Linke, wenn sie sich auseinanderdividiert. Es geht da sehr stark um parteitaktische Fragen, warum das eine oder andere hervorgestrichen wird. Klar ist aber, hier wie dort geht es um Benachteiligte, egal ob Hautfarbe, Geschlecht oder Armut. Daher ist es widersinnig, das zu trennen.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie hätten die ersten Linken in der katholischen Kirche kennengelernt. Wie christlich-sozial ist heute die ÖVP?

Hader: Seit meiner Jugend war es so, dass die Kirche beim Sozialen linker war als konservative Parteien. Damals ist die katholische Jugend mit der sozialistischen gemeinsam marschiert. Das Christliche an konservativen Parteien konnte man noch nie ernst nehmen, das kommt eher aus einem bürgerlichen Traditionswillen heraus und hat bekanntlich keine so schönen Wurzeln in der Zwischenkriegszeit.

STANDARD: Haben Sie sich in den letzten zwei bis drei Jahren zwischen Ibiza, Corona und den türkisen Chats einmal gedacht: Die Satire kann mit der Realität gar nicht mehr Schritt halten?

Hader: Satire soll gar nicht abbilden, sondern etwas offenlegen, was über die bloße Dummheit hinausgeht. Wenn Dinge aufbrechen, erfüllt mich das ja zunächst mit Genugtuung, weil es zeigt: Die Medien funktionieren, die Justiz funktioniert, die Opposition und Demokratie funktionieren. Noch. Ich bin aber kein besonders moralischer Mensch, denn ich finde das auch faszinierend. Ich habe eine Freude an den Grauslichkeiten, habe Spaß daran, wozu der Mensch fähig ist.

STANDARD: Wie im Kriminalroman?

Hader: Ja oder wie bei einem Bild von Brueghel: Auf den ersten Blick sehr barock, ordentlich und überladen, und im Detail dann aber ganz viele kleine Grauslichkeiten.

STANDARD: Was ist für Sie eigentlich kreativ erfüllender: Der Film oder das Kabarett?

Hader: Das Kabarett, weil man da so unabhängig ist und eigentlich alles machen darf, solang die Leute nicht aus dem Saal rennen. Und der Unterschied zur reinen Schauspielerei ist, dass man jemanden spielen kann, den man zugleich aber in allen Facetten in seine Einzelteile zerlegt.

STANDARD: Sie werden demnächst 60. Wie wollen Sie Kabarett und Film künftig unter einen Hut bringen?

Hader: Ich weiß nicht, wie lange alles miteinander geht. Aber Kabarett werde ich so lange machen, solange ich kraxeln kann. Das ist das Schöne daran: Man kann das immer machen und immer so viel, wofür man gerade Kraft hat. Ich kann mich also irgendwann auch mit einem Krankenhausbett auf die Bühne rollen lassen und zugedeckt bis zur Nasenspitze noch einen kleinen Monolog halten. (Stefan Weiss, 16.6.2021)