Die SPÖ hat einen sachpolitischen Vorschlag gemacht. Das ist gut so. Es muss möglich sein, abseits von Chats und Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP noch über Politik zu reden, die Menschen und ihre Lebensumstände betrifft. Und das ist beim Staatsbürgerschaftsrecht der Fall. Es geht um Integration, um Teilhabe an der Gesellschaft, es geht um unser Zusammenleben, um Achtung und Respekt, es geht letztlich um Demokratie: Wer, der hier lebt, darf wählen und wer nicht?

Wahrscheinlich machen wir aus ausländischen Mitbürgern bessere Österreicher, wenn wir auf sie zugehen, sie respektieren, ihnen Rechte geben.
Foto: APA/WERNER KERSCHBAUMMAYR

Jetzt gibt es politische Beobachter, die meinen, das sei Harakiri der SPÖ: Es sei völlig kontraproduktiv, der ÖVP ein neues Thema aufzulegen, mit dem sie von der Bredouille, in der sie sich befindet, ablenken könne. Das hat was für sich. Erwartungsgemäß hat die ÖVP das Thema begeistert aufgegriffen.

Was hat die SPÖ gefordert? Nach sechs Jahren rechtmäßigem Aufenthalt soll es einen Rechtsanspruch auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft geben, sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind. Außerdem will die SPÖ über das Geburtsortsprinzip diskutieren. Ein in Österreich geborenes Kind soll automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen, wenn zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal im Bundesgebiet aufhältig ist.

Klingt gar nicht so wild. Als Staatssekretär hat Sebastian Kurz einen ähnlichen Vorschlag gemacht und auf eine Reform des Gesetzes gedrängt. Jetzt holt er die große Keule raus. Die Argumentation der ÖVP geht auch in Richtung Bevölkerungsaustausch. Kurz selbst spricht von einer "Entwertung der Staatsbürgerschaft". Das ist eine ganz heikle Argumentation, weil sie nahelegt, dass es Menschen gibt, die mehr wert sind, und solche, die weniger wert sind. Oder – aus Sicht der ÖVP – vielleicht gar keinen Wert für die Gesellschaft haben. Diese Diskussion dürfen wir so nicht führen.

Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft

Worüber wir reden müssen: Was macht es mit Menschen (und Mitbürgern), wenn sie von elementaren Rechten ausgegrenzt werden? Was macht es mit der Gesellschaft, wenn es Menschen erster und zweiter Klasse gibt? Sind sechs Jahre ein ausreichend langer Zeitraum, um einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft zu erwerben? Wie gehen wir mit Kindern um, die hier geboren wurden oder die als Kleinkinder nach Österreich gekommen sind? Bei einer relativ komplizierten Rechtslage gibt es derzeit einen Anspruch auf Einbürgerung nach zehn Jahren, in vielen Fällen wird schon nach sechs Jahren eingebürgert.

Die ÖVP missbraucht dieses Thema aber tatsächlich, um von den eigenen Problemen abzulenken. Hier werden bewusst Menschen heruntergemacht, hier wird mit nicht nachvollziehbaren Zahlen operiert, hier wird Angst geschürt. Die ÖVP spaltet die Gesellschaft und schafft Feindbilder, beklagt sich im gleichen Atemzug aber darüber, dass diese Menschen dann möglicherweise nicht die ÖVP wählen würden.

Wahrscheinlich machen wir aus ausländischen Mitbürgern bessere Österreicher, wenn wir auf sie zugehen, sie respektieren, ihnen Rechte geben und auf Augenhöhe Pflichten einfordern. Anhand der Staatsbürgerschaft in gute und schlechte, in wertvolle und wertlose Bürger zu unterscheiden, ist nicht nur menschenverachtend, sondern auch ein extrem destruktiver Zugang. Und jetzt lasst uns wieder darüber reden, wer in dieser Republik wem Posten verschafft, wer Steuergeld scheißen kann und die Justiz an die Kandare nehmen möchte, weil er etwas zu verbergen hat. (Michael Völker, 15.6.2021)