Nordisch by Nature
von Rainer Schüller

Bild nicht mehr verfügbar.

Was Frauen und Männer im Norden eint: Sie sitzen und schauen gern.
Foto: Picturedesk.com / Jakob Winter

Nordburgenländer sind eine stille Spezies. Sie sind so stark vom Neusiedler See beeinflusst, dass ihr Charakter dem des Steppengewässers gleicht: Sie sind ruhig, von einer unvergleichbaren äußeren Erscheinung, ihr Inneres liegt zunächst im unklaren Trüben, nur wer sich länger mit ihnen beschäftigt, weiß, wie vielfältig und tiefgehend sie trotz einer vermeintlichen Seichtheit sind. Was Frauen und Männer im Norden eint: Sie sitzen und schauen gern. Die Tradition des Bankerlsitzens vor dem Haus wurde in die Gene aufgenommen.

Intensiv-Umarmung

Die Dorfgemeinde beobachtet genau, was sich vor ihren Augen abspielt. Weil sich oft wenig bis gar nix tut, ist der Blick noch geschärfter. Sie sind trainiert auf Mikroveränderungen. Am stärksten bekommen es die Zuagrasten zu spüren. Am heftigsten die Wiener. Wer sich in dieser Gegend ansiedelt – seit Corona ist dies immer häufiger der Fall –, ist zunächst ein Fremdkörper. Das heißt, fremd eigentlich nicht, weil alle alles über ihn oder sie wissen, aber bis zu einer echten Annäherung kann es lange dauern.

Wenn dann aber doch die Aufnahmeprüfung in der Kellergasse ("Trinkst a Achterl oder a Vierterl?"), auf dem Fußballplatz (selbe Frage wie in der Kellergasse) oder beim Feuerwehrfest (selbe Frage) bestanden wird, dann kommt es zu einer intensiven Entladung der Herzlichkeit, einer innigen Umarmung, die ewig hält. Das gilt sogar für Wiener.

Wer vom Norden in den Süden fährt, wird merken, dass die Menschen ab der Überquerung des Sieggrabener Sattels anders werden. Je weiter gen Süden, desto offener werden sie. Ganz unten, in der Gegend um Jennersdorf, leben "die Südlichen" ein pannonisches dolce far niente, das keinen Anlauf braucht. Die Herzlichkeit kommt spontan und direkt. Nordburgenländer geben es ungern zu, aber sie mögen die Leute von unten. Eben, weil sie anders sind. Weil sie, ohne viel nachzudenken, aus sich rausgehen, wie es das Volk rund um den Neusiedler See insgeheim auch gern hin und wieder würde. Die Nördlichen und die Südlichen sind wie das Yin und Yang des Burgenlandes, wie Bonny und Clyde, die Schöne und das Biest (Kollege Mayer). Nur zusammen ergeben sie Sinn.

Südlich wie Sizilien
von Thomas Mayer

Es gibt sehr viel Sonne im Südburgenland.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Südburgenländer sind wie Menschen aus dem Westen Irlands. Oder Sizilianer. Wo immer in der Welt sie sich treffen, stellt sich gleich Verbundenheit ein. Bei Auswandererländern mit sehr armen Regionen ein Klassiker: Anpassungsfähigkeit ist wichtig, Tradition und Sichaushelfen lebenswichtig, seit langer Zeit.

Diese Gemütsmenschen erkennen einander an einer Sprache, über die Nichtburgenländer Witze machen. Wiener vor allem. Familie spielt eine große Rolle, Essen und Trinken sowieso ("Ein Achterl, besser ein Viertel"), auch die Dorfgemeinschaft ("Dein Opa stammt aus Großmürbisch?" – "Nein, aus Inzenhof!").

Wir sind knapp 100.000 in 72 Gemeinden in noch viel mehr Ortsteilen. Wo es keine (so richtigen) Städte gibt, im Ort weder Kino noch Theater, muss man selbst für Unterhaltung sorgen. Also Bankerlsitzen, Gasthaus, Tratschen. Da sind Nord- und Südburgenländer gleich – zumindest im Prinzip. Aber der Schein trügt.

Man hört den Unterschied. Das Reden der Südmenschen ist weicher, näher am Gesang als am Sprechen. So wie das Klima. Es gibt sehr viel Sonne. Bei den Nordischen schlägt Niederösterreich und Wien durch. Befremdlich. Das mag auch daran liegen, dass die Südländer sich "von Eisenstadt" von jeher benachteiligt, vergessen fühlen. Und weil die Nordischen etwas gönnerhaft auf die armen Geschwister im Outback "runterschauen".

Daran hat auch der Bau der Nord-Süd-Straßenverbindung vor 90 Jahren wenig geändert. Güssing oder Jennersdorf im Süden sind von der Landeshauptstadt gefühlt so weit weg wie Palermo oder Kalabrien von Mailand. Die großen Förderungen kamen ab 1995 aus Brüssel. Die Menschen orientieren sich stärker an der Steiermark, an Ungarn, sind Wochenpendler nach Wien. Das pannonische Mezzogiorno beginnt nicht "hinter" dem Sieggrabener Sattel, wie stolze Nordlichter meinen! Dort fängt erst das prächtige Mittelburgenland an, Riesenwälder, Weiten, Blaufränkischland. Südländer sind bescheidener, lieben Ruhe und Schönheit ihrer Region: Stau- statt Neusiedler See.

Die Nördlichen und die Südlichen sind wie das Yin und Yang des Burgenlandes, wie Bonny und Clyde, die Schöne und das Biest (Kollege Schüller). Erst die Verschiedenheit macht das ganze Land. (Leben im Burgenland, 1.8.2021)