Der grüne Pass ist vergangene Woche in Österreich gestartet. Allerdings: Zertifikate für die rund 4,2 Millionen Menschen, die bereits geimpft wurden, gibt es noch nicht.

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Die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus ist auf Talfahrt. Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Infektionszahlen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, liegt mit 17,4 im Österreich-Schnitt auf einem Tiefpunkt. Zwar sind am Mittwoch binnen 24 Stunden österreichweit 153 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet worden und damit wieder etwas mehr als am Montag und Dienstag, der Schnitt der vergangenen sieben Tage mit 188 positiven Tests lag aber noch darüber.

Und ein anderer Wert, der besonders Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zuletzt dazu bewogen hat, die sogenannte "Osterruhe" als mehrwöchigen Lockdown über die Hauptstadt zu verhängen, lässt ebenfalls auf Entspannung hoffen: Nur 92 Personen müssen Stand Mittwochvormittag im gesamten Bundesgebiet auf einer Intensivstation versorgt werden. Die Landkarte Österreichs strahlt zu einem großen Teil gelbgrün – weist also geringes Corona-Risiko aus. Nur in Vorarlberg und Tirol attestiert die fünfstufige Corona-Ampel gelbes, mittleres Risiko.

Es wirkt, als sei die Pandemie in den Griff bekommen worden. Doch Zeit zum Ausruhen bleibt nicht, denn noch hat die Regierung genügend offene Baustellen und Unsicherheiten in der Bekämpfung der Pandemie.

Mutationen

Die Delta-Variante, die erstmals in Indien aufgetreten ist, wird offenbar auch in Österreich ein immer größeres Thema: Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) wurden bis Dienstag 71 Corona-Fälle der Variante B.1.617.2, der sogenannten Delta-Variante, gezählt. Die meisten Fälle davon wurden mit 32 in Wien sequenziert. Am seltensten ist die Mutation in Kärnten und Oberösterreich aufgetreten – je ein Fall wurde dort verzeichnet.

Diese Variante gilt laut britischen Studien als 50 bis 60 Prozent ansteckender als die bei uns seit dem Frühjahr dominante Alpha-Variante, die erstmals in Großbritannien aufgetreten ist. Auch die Variante B.1.1.7 war bereits deutlich ansteckender als das Coronavirus, wie es erstmals im Jahr 2020 aufgetreten ist. In Indien war die Delta-Variante für die Explosion der Infektionszahlen im April und Mai verantwortlich. "Delta wird sich nun in Europa langsam ausbreiten, das wird auch bei uns ein Thema", sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein am Montag nach einer Sitzung der EU-Gesundheitsminister in Luxemburg dem STANDARD.

Die Einhaltung der bekannten Hygienemaßnahmen wie Händewaschen, Masketragen und Abstandhalten wirkt auch gegen die Delta-Variante. Die Impfung kann ebenfalls schwere Verläufe verhindern und das Ansteckungsrisiko deutlich reduzieren.

Impfungen

Rund 4,2 Millionen Menschen, das sind 53,7 Prozent der impfbaren Bevölkerung, haben in Österreich mindestens eine Corona-Schutzimpfung erhalten, davon haben rund 2,2 Millionen Menschen (27,8 Prozent) bereits einen vollständigen Impfschutz. Laut Mückstein liegt die Impfbereitschaft in Österreich bei rund 70 Prozent. Weitere acht Prozent gelten als genesen – bleiben 22 Prozent übrig.

Das Gesundheitsministerium schätzt, dass die Corona-Impfung bis Ende April 1.800 Todesfälle verhindert hat. Das geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos hervor. Die Zahl der Personen, denen dank Impfung die Einlieferung in eine Intensivstation erspart blieb, beziffert das Ministerium mit 1.755. Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker fordert die Regierung im Gespräch mit der APA auf, nun alles zu unternehmen, um bis zum Herbst auch wirklich zumindest 70 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Dafür braucht es laut Loacker aber einiges an Überzeugungsarbeit: "Wir sehen aus den Impfvorreiter-Ländern Großbritannien und Israel, dass die Impfquote ab 60 Prozent kaum noch steigt."

Österreich wollte für sein Impfprogramm auch den russischen Impfstoff Sputnik V kaufen – dessen Zulassung verzögert sich aber, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Der Grund sei, dass der russische Hersteller nicht bis zu einer Deadline am 10. Juni die nötigen Daten der klinischen Studien bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA eingereicht habe. Aus Russland kamen dazu Dementi, es hieß, der Impfstoff werde innerhalb der nächsten zwei Monate zugelassen. Eine Stellungnahme der EMA stand noch aus.

Grüner Pass

Eigentlich wollte Österreich beim grünen Pass eine Vorreiterrolle einnehmen. Während die EU jene Handy-App, die ausweisen soll, ob man geimpft, getestet oder genesen ist, mit 1. Juli starten will, sollte es hierzulande schneller gehen. Schon am 4. Juni – rund einen Monat vor der europaweiten Lösung – sollte es losgehen. Bekanntlich ging sich dieser Schnellschuss allerdings nicht ganz aus.

Vergangenen Freitag startete die Österreich-Variante. Allerdings nur in abgespeckter Form. So können zwar die ersten Zertifikate mit EU-konformen QR-Codes für genesene und getestete Personen digital erstellt und abgerufen werden, für Geimpfte gilt das jedoch nicht. Für sie soll die Umsetzung erst in einem "nächsten Schritt" erfolgen. Ein konkretes Datum dafür wurde nicht genannt. Man brauche noch Zeit, weil dahinter die komplizierteste Datenbank stehe, rechtfertigte sich Gesundheitsminister Mückstein vergangene Woche. Das Problem: der Föderalismus. Die neun Bundesländer haben verschiedene Systeme, die koordiniert werden müssten.

EU-weit gilt es allerdings auch noch einiges zu klären. So sind sich die Mitgliedsstaaten nicht einig, wie mit den Genesenen umzugehen ist. Weiters ist offen, wie mit Geimpften verfahren wird, die den bislang in der EU nicht zugelassenen russischen Impfstoff Sputnik V erhalten haben. Dieser wird sehr wohl bereits in EU-Staaten verimpft: in Ungarn und der Slowakei.

Masken

Mit den moderaten Neuinfektionszahlen kommt auch die Diskussion über die FFP2-Masken-Pflicht wieder auf: Der Wunsch nach einer Lockerung zurück zum einfachen Mund-Nasen-Schutz (MNS) steigt bei vielen – denn vor allem mit den höheren Temperaturen wird es schweißtreibend unter den FFP2-Masken. In einigen Branchen tragen Menschen auch schon jetzt nur einen einfachen MNS. So dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gastronomie etwa diesen statt einer FFP2-Maske nutzen, sofern sie sich regelmäßig testen lassen. Das Gleiche gilt für Berufsgruppen mit Kundenkontakt, den Verkauf etwa.

Das Risiko trägt dabei die Person mit MNS. Denn diese dünnere Maskenvariante ist kein Atemschutz und schützt daher nicht vor Ansteckung. Das ist auch der große Unterschied zu den FFP2-Masken: Der Mund-Nasen-Schutz kann Tröpfchen und Aerosole nicht abwehren. Sehr wohl kann man damit aber andere vor den eigenen Aerosolen schützen. Die FFP2-Masken sind dagegen mit einem Filtermaterial bestückt, das in beide Richtungen wirkt, also auch ihre Trägerinnen und Träger vor Ansteckung schützt. In beiden Fällen kann eine Maske das aber ohnehin nur tun, wenn sie auch korrekt anliegt und keine Luft an den Rändern austreten kann. (ook, spri, 16.6.2021)