Linz – Wer das kleine Dorf Redl-Zipf über die Bundesstraße in Richtung Süden verlässt, passiert ein Einfamilienhaus mit einer ungewöhnlichen Fassadenfarbe; zumindest eine Hauswand ist durchgehend schwarz. Es ist die letzte Erinnerung an das dunkelste Kapitel der Dorfgeschichte.

Die Stollen des NS-Geheimprojekts in Redl-Zipf. Beim Ausbau der unterirdischen Anlage starben hunderte KZ-Häftlinge.
Hannes Koch

Es war das Jahr 1943, das Redl-Zipf je zu einem der kriegsstrategisch wichtigsten Orte machte. Nach schweren Bombenangriffen auf die sogenannten Rax-Werke in Wiener Neustadt entschied die NS-Führung, ihre Rüstungsindustrie vorwiegend unter Tage zu verlagern. Die Bierkeller der Brauerei Zipf dürften dafür ideal gewesen sein, zumal der Ort direkt an der Westbahn liegt und die Brauerei mit einem Gleiszugang versehen war. Am 30. September informierte die NS-Führung die Brauerei, bereits am 4. Oktober wurde mit der Erweiterung der unterirdischen Stollen begonnen. Dies wurde von Zwangsarbeiten durchgeführt, die in dem KZ-Nebenlager Redl-Zipf untergebracht waren. Quasi über Nacht wurde der Ort zum Geheimprojekt. Zipf gab es nicht mehr. Und die Häuser wurden mit schwarzer Tarnfarbe gestrichen.

Familienbuch

Vorwiegend galt es, wichtige Bestandteile für die V2-Rakete, die erste in Serie gebaute Flüssigsauerstoff-Rakete der Welt, herzustellen. Unter den Decknamen "Schlier", benannt nach dem Gesteinsvorkommen in Zipf, produzierte man Flüssigsauerstoff und entwickelte Raketenantriebe.

Stefan Wedrac, Historiker an der Uni Wien, hat sich jetzt in seinem jüngsten Buch der wechselvollen Geschichte der einst größten Brauerei Oberösterreichs angenommen. "Die Brauerei Zipf im Nationalsozialismus – ein österreichisches Brauunternehmen zwischen NS-Kriegswirtschaft, V2-Rüstungsbetrieb und KZ-Außenlager" spannt den weiten Bogen vom Familienbetrieb bis zu Fusion mit der Brau AG 1969. Mit einem klaren Fokus auf die NS-Zeit.

Für Wedrac ist es aber auch eine "Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte". War doch der Urgroßvater Maschinenmeister in der Brauerei und der Großvater Praktikant in dem Betrieb. Nötig sei für das Buchprojekt eine sehr umfangreiche Recherchearbeit in nationalen und internationalen Archiven gewesen, das es kaum Publikation über die Brauerei-Geschichte gebe. "Es geht mir mit dem Buch vor allem auch darum, das Schweigen über diesen Teil der Brauerei-Geschichte endgültig zu beenden." Zu lange sei das Motto "verdrängen, mauern, Deckel drauf" gewesen.

Nur ein Besuchstag

Wie notwendig es ist, im Bierkeller endlich das Licht aufzudrehen, zeigt auch die Tatsache, dass man vonseiten der Brauereiführung ein enden wollendes Interesse an einem allzu offensiven Umgang mit der eigenen Geschichte hat.

So strebt die "Arge Schlier" seit Jahren eine geordnete Zugänglichmachung der noch vorhandenen baulichen Anlagen des ehemaligen NS-Rüstungsbetriebes an. Doch die Gespräche gestalten sich schwierig: Stollen und V2-Testbunker dürfen nur einmal pro Jahr besucht werden, eine angedachte Überschreibung der Anlagen an die "Arge Schlier" lehnt die Brauerei ab. (Markus Rohrhofer; 17.6.2021)