Natur und Abkühlung, ohne aus der Stadt zu fahren: So stellen sich Stadtplaner die künftige Entwicklung Wiens vor. Der Esterházypark soll ein Vorgeschmack darauf sein.

Foto: Mafalda Rakos

Früh am Tag kommen die ersten Besucher: Eltern mit Kindern, die spielend zwischen den Wasserfontänen springen, Studierende, die auf ihren Laptops lernen, und Pensionisten, die sich unter einem der Bäume unterhalten. "Es gibt hier kaum Vandalismus. Das zeigt, dass die Menschen Respekt vor dem Ort haben", sagt Doris Schnepf. Sie trägt eine weiße Bluse, die Haare hat sie zu einem Zopf gebunden und steht inmitten eines Rings aus Kletterpflanzen, Sonnensegeln und Sprühnebeldüsen, der an diesem heißen Tag in Wien Abkühlung verspricht. "Oase", "Coolspot" oder "Tröpferlbad" nennt Schnepf diesen Ort im Esterházypark in Wien. Sie ist überzeugt: Wir brauchen mehr Coolspots, wenn das Leben in der Stadt trotz der künftig aufgrund des Klimawandels prognostizierten acht Grad mehr erträglich bleiben soll.

Seit Jahren setzt sich Schnepf für eine Begrünung Wiens ein. Sie ist Geschäftsführerin des Unternehmens Green4Cities, entwirft und plant dort neue Projekte, die die Stadt grüner und kühler machen sollen, und versucht die dafür nötigen Akteure zusammenzubringen. "Vor zehn Jahren waren wir noch Nerds. Mittlerweile geht ohne Grün in der Architektur gar nichts mehr", sagt sie. Grün bedeutet: Weniger Beton, der die Wärme speichert und auch die Nächte kaum abkühlen lässt, dafür mehr Bäume, Kletterpflanzen, Wasser und Sprühnebel in der Stadt. Wie etwa an jenem Coolspot im Esterházypark, der laut Schnepf ein "Mikroklima" schafft, wo die gefühlte Temperatur selbst im Hochsommer nicht mehr als 29 Grad betragen sollte.

Doris Schnepf will mehr Coolspots in der Stadt bauen.
Foto: Mafalda Rakos

Vorschläge von Bürgern

Schnepf ist nicht die Einzige, die mehr Grünflächen nach Wien bringen will. In den vergangenen Jahren sind dutzende Start-ups, wissenschaftliche Beratungsstellen und Bürgerinitiativen entstanden, die sich genau diesem Ziel verschrieben haben. Und auch in der Politik scheint die Idee mittlerweile angekommen zu sein. Die rot-pinke Stadtregierung will etwa den Grünflächenanteil von derzeit 53 Prozent erhöhen, tausende zusätzliche Bäume sollen in den kommenden Jahren gepflanzt werden. Vor kurzem hat die Stadt auch Ideen von Bürgern für die Begrünung gesammelt und will nun einige davon umsetzen. Die Vorschläge reichen von Miniwäldern über Nebeltechniken bis hin zu Bodenentsiegelung.

An den geliebten Bäumen kommt kaum ein Vorhaben vorbei. "Bäume sind schon ein Allheilmittel", sagt Schnepf. Weil sie im Sommer Schatten spenden und im Winter nicht, sich weitgehend selbst versorgen und langlebig sind. Warum pflanzen wir also nicht einfach nur viel mehr Bäume, machen Wien zur Waldstadt, wie es Ex-US-Präsident Donald Trump schon länger voraussah?

Bäumepflanzen nicht genug

"Bäumepflanzen allein ist nicht genug", sagt Gerald Hofer, Experte für Bauwerksbegrünung an der Kompetenzstelle Grünstattgrau. Stattdessen müsse auch auf die Fassaden- und Dachbegrünung gesetzt werden. Hofer führt über die Dachterrasse, die dem Büro gehört und wie ein kleiner Park inmitten der grauen Dachlandschaft Wiens aussieht: Dutzende Pflanzen, ein paar Bäume und sogar ein kleiner Teich säumen die Wiese, die die Terrasse bedeckt.

Gerald Hofer gemeinsam mit Gerold Steinbauer auf dem Dach des Verbands fürs Bauwerksbegrünung in Wien.
Foto: Jakob Pallinger

"Ein Gründach sorgt nicht nur für eine bessere Kühlung des Gebäudes und der Umgebung, sondern auch für eine höhere Artenvielfalt", sagt Hofer. Um bis zu vier Grad kühler sei es im Raum unter dem Dach im Vergleich zu einem Gebäude mit Kiesdach. Die Pflanzen werden automatisch bewässert, der Wasserbedarf laut Hofer großteils mit Regenwasser gedeckt, das auf dem Dach gesammelt wird.

Hofer zeigt zu den umliegenden Dächern, von denen die meisten entweder zubetoniert oder mit Kiesel bedeckt sind. "Mir tun die Menschen leid, die unter so einem Dach wohnen müssen", sagt er. Für eine bessere Kühlung brauche es nicht unbedingt einen Wald auf dem Dach, es reiche auch eine relativ dünne Substratschicht in Kombination mit trockenresistenten Pflanzen, für die kaum Pflege nötig sei. Seitens der Bauträger und Architekten gebe es jedoch nach wie vor viele Vorurteile gegenüber Gründächern, so Hofer. Im internationalen Vergleich, etwa mit Deutschland, müsse Österreich bei der Dachbegrünung noch aufholen.

Kletterpflanzen vor der Wohnung

Zumindest bei den Fassaden soll es nun schneller vorangehen. Kletterpflanzen sollen wie natürliche Klimaanlagen wirken und auch für Hausbewohner erschwinglich sein. Bei dem von der Stadt Wien geförderten Projekt "Berta" können sich Eigentümer beispielsweise mit einer einfachen Mehrheit und ab 560 Euro Selbstbehalt pro Modul mit Pflanzen und Trog dafür entscheiden, die Fassade zu begrünen und damit das Gebäude und die Umgebung zu kühlen.

Eines dieser Projekte befindet sich in Wien-Favoriten, zehn Tröge mit Pflanzen stehen dort bereits an der Fassade. Gerald Hofer kommt hin und wieder vorbei, um die Gesundheit der Pflanzen zu überprüfen, ansonsten kümmert sich hauptsächlich eine der Bewohnerinnen, Susanne Stepan, um die Pflanzen und gießt diese einmal pro Woche. "Bei uns scheint von Mittag bis Abend die Sonne aufs Haus", sagt Stepan, die mit der Gießkanne vor dem Wohnhaus steht. Den Kühlungseffekt durch die Pflanzen habe sie in den zwei Jahren, in denen die Pflanzen vor dem Haus stehen, jedenfalls schon deutlich gespürt, sagt sie.

Susanne Stepan kümmert sich regelmäßig um die Pflanzen vor der Fassade.
Foto: Mafalda Rakos

Angst vor Insekten

Trotzdem gebe es auch Probleme. "Es gibt immer wieder Menschen, die ihren Abfall, Bierdosen oder Glasflaschen in den Trögen entsorgen", erzählt Stepan. Auch sei schon einmal der Wasserregler herausgerissen und einige Pflanzen abgeschnitten worden. Kritik an den Pflanzen ist Stepan auch aus dem eigenen Wohnhaus gewohnt. "Die Angst, dass mit den Pflanzen auch mehr Krabbeltiere, Schmetterlinge und Bienen ins Haus kommen, ist weit verbreitet", sagt sie.

Dieses Argument kennt auch Johannes Anschober. "Die Angst vor Insekten ist unbegründet", sagt er. Denn wenn Insekten bereits einen Lebensraum außerhalb der Wohnung haben, gebe es für sie keinen Grund mehr, durch die Fenster ins Innere zu fliegen oder zu krabbeln. Der 38-Jährige studierte Landschaftsarchitekt entwickelt bei der Firma Naturbase sogenannte Begrünungspaneele – Module mit unterschiedlichsten Pflanzen, die an der Fassade angebracht werden können, dadurch die Temperatur im Innenraum und in der Umgebung senken und wesentlich leichter und pflegeärmer sein sollen als herkömmliche Fassadenbegrünungen.

Lavendel an der Fassade

Ein fertiges Projekt befindet sich im Kempelenpark in Wien-Simmering: Dort ist die Fassade bereits wie ein senkrechter grüner Teppich mit Lavendel-, Erdbeer- und Salbeipflanzen behängt. Jedes Modul mit den Pflanzen könne schon vorgefertigt werden und müsse dann nur mehr in der an der Fassade angebrachten Vorrichtung "eingeklipst" werden, so Anschober. Die Pflanzen werden automatisch bewässert, ein spezielles Substrat in den Paneelen sorge dafür, dass mehr Wasser und Nährstoffe gespeichert werden können.

Im Kempelenpark in Wien ist eine Fassade bereits mit Pflanzenmodulen behängt.
Foto: Mafalda Rakos

Laut Anschober ließen sich die Module an jeder Haus- und Industriefassade anbringen, die Kosten würden je nach Größe und Zugänglichkeit des Gebäudes variieren. "Man sollte aber nicht nur die Vorteile für sich selbst, sondern auch für die Stadt insgesamt sehen, in der es kühler wird und mehr Lebensraum entsteht", sagt Anschober. Sein Ziel: In den nächsten Jahren so viele Fassaden zu begrünen wie möglich.

Johannes Anschober hat bei der Begrünung noch einiges vor.
Foto: Mafalda Rakos

Finanzierung über Blockchain

Damit einzelne Projekte nicht im Sand verlaufen, braucht es aber eine Koordination auf gesamtstädtischer Ebene, sagen viele Experten und Expertinnen. Und überall, wo im öffentlichen Raum künftig grüner geplant wird, wird es Konflikte geben: zwischen Bauunternehmen, politischen Parteien, Investoren, Bewohnern und Nachbarn. Diese gilt es auszuverhandeln, sagt Schnepf.

Doris Schnepf will Bewohner deshalb künftig noch mehr in den Planungsprozess und die Umsetzung einbinden, sagt sie. Und auch neue Finanzierungsmodelle, etwa durch die Blockchain, schweben ihr vor: "Wir könnten eine Waldstraße digital designen und die Auswirkungen davon im Bezirk berechnen. Anschließend könnten die Bewohner einen Teil der digitalen Fläche kaufen und so zu deren Realisierung beitragen." Bis zur echten "Waldstadt" in Österreich soll es damit nicht mehr lange dauern. (Jakob Pallinger, 4.7.2021)