Als Spieler gehörte Arend Haan, wie er laut Geburtsurkunde heißt, der großen Mannschaft von Ajax Amsterdam um Johan Cruyff an, die Anfang der 1970er-Jahre dreimal hintereinander den Meistercup gewann. Mit der niederländischen Nationalmannschaft erreichte der Mittelfeldspieler zweimal das WM-Endspiel, 1974 setzte es in München ein 1:2 gegen Deutschland, 1978 in Buenos Aires ein 1:3 gegen Argentinien. Als Trainer machte Arie Haan seinem Ruf als Globetrotter alle Ehre, von Dezember 2000 bis August 2001 war er bei der Wiener Austria unter Vertrag. Heute lebt der 72-Jährige an der spanischen Costa Blanca und beobachtet von dort die laufende EM.

Arie Haan dirigierte einst die Niederlande. Aus dem Mittelfeld und manchmal auch als Libero.

STANDARD: Die Elftal ist mit einem 3:2-Sieg gegen die Ukraine in das EM-Turnier gestartet. War ihr Auftritt erwartungsgemäß?

Haan: Ich muss gestehen, dass unser Nationalteam sich besser präsentiert hat als bei den beiden letzten Vorbereitungsspielen gegen Schottland und gegen Georgien. Die Ukraine habe ich ein bisschen stärker erwartet, aber sie hätten mit etwas Glück mit dem Punktgewinn belohnt werden können. Das Glück hatte dann Holland. Und auch die Klasse.

STANDARD: Im Vorfeld der EM war Bondscoach Frank de Boer wegen seiner taktischen Ausrichtung von 3-5-2 und der Abkehr vom holländischen 4-3-3-System arg in die Kritik geraten. Teilen Sie diese Skepsis?

Haan: In Holland ist es fast eine Sünde, wenn du nicht mit dem altbewährten 4-3-3 System spielst, und die Fans haben eine große Abneigung gegen eine andere, neue Taktik. Wir haben jedoch gesehen, dass bei der WM 2014 in Brasilien Holland unter Louis Van Gaal mit dieser "unholländischen" Ausrichtung, dem 3-5-2, sehr erfolgreich agiert hat. Du bist als holländischer Trainer, der so eine Ausrichtung wählt, zum Erfolg verdammt.

STANDARD: Heute kommt es in der Amsterdamer Arena zum Aufeinandertreffen mit Österreich. Haben Sie ein Bild vom Gegner?

Haan: Ich habe lediglich die Tore gegen Nordmazedonien gesehen, die waren schön. Ich habe mir sagen lassen, dass die Österreicher das klar bessere Team waren und verdient gewonnen haben. Insofern ist die Partie richtungsweisend, was die Konstellation in der Gruppe C betrifft.

Arie Haan bei der Wiener Austria.
Foto: APA/Artinger

STANDARD: Die EM ist noch ziemlich jung, und trotzdem erlebte sie einen dramatischen Höhepunkt, als der dänische Spieler Christian Eriksen nach einem Kollaps knapp dem Tod entronnen ist. Ist es nachvollziehbar, dass die Partie nach kurzer Unterbrechung weitergeführt wurde?

Haan: Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Der Junge kämpft ums Überleben, und die Partie wird weitergeführt, als ob nichts passiert wäre. Die dänische Mannschaft war nach dem Vorfall wie benommen. Die Uefa ordnet alles dem Prinzip "The show must go on" unter. Das ist unfassbar.

STANDARD: Sie beteuern, ein Fußballromantiker zu sein. Können Sie sich mit diesem schrägen paneuropäischen Turnier in Pandemiezeiten anfreunden?

Haan: Ich habe Probleme damit, aber letztendlich überwiegt die Liebe zum Fußball. Trotzdem kann oder will ich nicht alle Spiele der Gruppenphase anschauen. Wenn es in die K.-o.-Phase geht und sich die Spreu vom Weizen trennt, werde ich mein Augenmerk verstärkt auf das Spielgeschehen richten.

STANDARD: Rinus Michels hat die Elftal 1988 zum bisher einzigen EM-Titel geführt. Sie holten unter seiner Federführung vor fünfzig Jahren den Europacup der Landesmeister, als Ajax Amsterdam im Finale von Wembley Panathinaikos Athen mit 2:0 geschlagen hat. Auch dank eines Treffers von Ihnen. Was machte den Nimbus dieser Fußballpersönlichkeit Michels aus?

Haan: Michels war ein sehr strenger und konsequenter Trainer, der unserem damaligen, recht jungen Team eine klare Struktur verpasst hat. Als er zu Ajax gekommen ist, war viel Qualität vorhanden, aber leider waren wir auch etwas zu verspielt. Er hat uns diese Siegermentalität eingeimpft, die damals vorwiegend den Deutschen nachgesagt wurde. Das, was wir heute holländischen Fußball bezeichnen, fußt auf seinen Ideen, die Johan Cruyff anschließend in Barcelona zum Aushängeschild geformt hat.

"Fußball in Österreich ist immer auch ein bisschen politisch. Oder war."
Foto: imago/Panoramic International

STANDARD: Sie selbst waren von Dezember 2000 bis August 2001 bei Austria Wien unter Vertrag. Zuerst als Technischer Direktor und anschließend als Trainer. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Haan: Das war schon eine sehr komische Zeit. Ich wurde damals von Klubeigner Frank Stronach, mit dem ich sehr gut ausgekommen bin, als Technischer Direktor geholt, als Nachfolger von Friedl Koncilia. Anschließend wollte er, dass ich auch das Traineramt von Heinz Hochhauser übernehme, nach dem englischen Vorbild vom Teammanager.

STANDARD: Ins Gedächtnis zahlreicher Austria-Fans prägte sich der Disput mit Nationaltorhüter Franz Wohlfahrt, den Sie zwischenzeitlich degradiert hatten.

Haan: Der Franz hat damals sehr viel dummes Zeug in die Welt gesetzt. Wahrscheinlich wollte er wichtiger erscheinen, als er in Wirklichkeit war.

STANDARD: Fakt ist jedoch, dass Sie nach einem 2:1 im Derby gegen Rapid entlassen worden sind. Das kommt auch nicht oft vor, dass ein Trainer nach einem Sieg gehen muss, oder?

Haan: Ich hatte meinen Rücktritt bereits drei Wochen zuvor angeboten, doch dieser wurde von Stronach in Kanada nicht angenommen. Erst kurz vor dem Derby war er nach Wien zurückgekehrt, und seine Statthalter haben ihm anscheinend ihren Report zum Stand der Dinge gegeben. Da ging es um Gunst, Missgunst und Geschacher. Ich kann im Nachhinein sagen, dass der Fußball in Österreich immer auch ein bisschen politisch ist. Oder war. Ich habe ja kein aktuelles Bild mehr. (Dimitrios Dimoulas 17.6.2021)