Wien nahm von einer Tourismuszone mit offenen Geschäften bisher Abstand und steht damit in Europa ziemlich allein da. Einige Länder rudern zurück.

Foto: APA

Wien – Gexi Tostmann ließ sich nie ins Korsett strikter Ladenschlussgesetze zwängen. 34 Jahre ist es her, dass sich die Trachtenhändlerin gegen die Sperrstunde ab Samstagmittag wehrte und vor den Verfassungsgerichtshof zog. Zwei Jahre später war der Weg für den langen Einkaufssamstag geebnet. Seit 2003 ist er aus dem Handel nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile steht der Sonntag auf dem Prüfstand. Schränkt auch dieser für Tostmann die Erwerbsfreiheit ein?

Die Möglichkeit, sieben Tage die Woche offen halten zu dürfen, sei etwas wert. Auch für Mitarbeiter sei das doppelte Gehalt am Sonntag sicher ein Zuckerl, sagt ihre Tochter Anna. Dennoch sei sie sich mit ihrer Mutter darin einig, dass die generelle Sonntagsöffnung verzichtbar sei. Rund um liberale Ladenöffnung sei schon einiges erreicht worden. "Selbst als Tourist schafft man es, sich an einem Tag die Woche auf Kultur zu konzentrieren."

Begrenzte Macht

Die Freigabe des Sonntags für den Handel löst aus ihrer Sicht weder die Probleme des Arbeitsmarktes noch bremst er Onlinekonzerne. Wer bei Amazon bestellen wolle, tue dies auch, wenn die Geschäfte sonntags offen hielten. In jedem Fall steige der Druck auf Betriebe, die schon jetzt starker Konkurrenz ausgesetzt seien. "Und nicht jeder Händler wird es sich leisten können, dabei auf die Bedürfnisse alleinerziehender Mütter einzugehen."

Österreichs Ladenschlusszeiten bleiben ein Zankapfel. Aktuell sorgen die Neos für Zündstoff. Sie brachten einen Antrag für stärkere Liberalisierung auf Probe ins Plenum des Nationalrats ein, was ein Feuerwerk an Reaktionen auslöste. Die Sieben-Tage-Woche müsse auf für die Gesellschaft unbedingt nötige Arbeit beschränkt bleiben, betonen die Grünen. Die Kaufkraft der Konsumenten nehme damit nicht zu. Für Handelsangestellte werde es immer schwieriger, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Mehrere Arbeitnehmerverbände sprechen von Pyramidenspielen auf dem Rücken der Mitarbeiter und wachsender Dominanz großer Handelsketten. Das Versprechen freiwilliger Arbeit ließe sich nicht einlösen.

Vor und zurück

Wie handhaben andere Länder das heiße Eisen? Deutschland lässt maximal vier offene Sonntage im Jahr zu, an denen jeweils fünf bis sechs Stunden verkauft werden darf. Die Entscheidung darüber obliegt den Ländern – viele nahmen in den vergangenen Jahren Tempo heraus. Ungarn ruderte mehrfach vor und zurück: Derzeit ist der Sonntag in Ungarn ein Einkaufstag. Supermärkte wie Tesco sind dort teils rund um die Uhr offen. Polen reduzierte die Zahl der offenen Sonntage auf wenige Tage im Jahr. Sieben Tage die Woche darf in Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Kroatien und Bulgarien konsumiert werden. Keinen gesetzlichen Ladenschluss haben Länder wie Italien, Spanien, Portugal und Schweden. Frankreich erlaubt sonntäglichen Handel teilweise.

"Mehr Kosten als Umsatz"

Die Möbelkette XXXLutz ist in gut zehn der genannten Märkte vertreten – und zieht eine ernüchternde Bilanz. Auch wenn Sonntage an sich gut frequentiert seien, über die Woche gerechnet gebe es von Mehrumsätzen nicht die geringste Spur. Dafür stiegen die Kosten, sagt Konzernsprecher Thomas Saliger.

Arbeitszeiten im Verkauf seien schon bisher unattraktiv. "Wie viele Lehrlinge werden sich für den Handel noch finden, wenn der Sonntag als freier Tag wegfällt?" Folgen wären höhere Anteile an Teilzeitkräften und Wettbewerbsverzerrung für jene Unternehmen, die es bei der Sechs-Tage-Woche belassen.

Durchlöchert wie ein Emmentaler

Streng nimmt es Österreich mit der Sonntagsruhe freilich nicht. In Tourismusregionen lassen die Länder sonntägliches Shoppen über Sondervereinbarungen zu. Tankstellen haben ebenso einen Persilschein wie Bahnhöfe und Flughäfen. Ein weiterer Schlüssel sind Gastronomiekonzessionen: Ein Gutteil des Sortiments abseits von Snacks gehört hierbei zwar weggesperrt. Dies zu kontrollieren erfordert aber einigen Aufwand. Auch wer Blumen, Süßigkeiten und Souvenirs offeriert, hat die Lizenz zum Aufsperren. Bäckern wiederum verhilft dazu eine Betriebsanlagengenehmigung.

Rewe und Spar lehnen ob der ohnehin zahlreichen Schlupflöcher eine generelle Liberalisierung ab. Rewe würde den maximalen wöchentlichen Rahmen der Ladenöffnung allerdings gerne von 72 auf 76 Stunden ausdehnen. Bitter stößt Supermärkten zudem auf, dass für ihre Regionalboxen, in denen sich der Kunde selbst bedient, reguläre Sperrstunden gelten. Was die Diskussion um die Einführung einer Tourismuszone in Wien betrifft, halten sich Rewe wie Spar mit ihrer Meinung zurück.

"Onlinekauf vernichtet Jobs"

Verfechter der Sonntagsöffnung sind viele Einkaufszentrenbetreiber. Peter Schaider, Eigentümer des Wiener Auhofcenters, pocht auf zumindest ein halbes Dutzend Einkaufssonntage im Jahr, denn Österreichs Handel sei seit der Krise viel Geld abhandengekommen. "Jeder Onlinekäufer ist ein Arbeitsplatzvernichter und schadet obendrein der Umwelt. Ich habe den Eindruck, die Politik packelt mit den Internetkonzernen." (Verena Kainrath, 17.6.2021)