Nach acht Tagen intensiver globaler Diplomatie auf europäischem Boden fliegt US-Präsident Joe Biden nach Washington zurück. Als er zum Auftakt des G7-Gipfels der wichtigsten Industriestaaten im britischen Cornwall angekommen war, sagte er voraus, seine Visite werde "eine Wende in der Weltpolitik" einleiten. Das war, um es bei laufender Europameisterschaft in Fußballersprache zu sagen, eine Steilvorlage.

US-Präsident Joe Biden in Brüssel.
Foto: imago images/Le Pictorium

Es stellt sich aus Sicht der Europäer die Frage, was Biden konkret an Veränderung umsetzen will und kann, wem welche Rolle zukommen soll. Und was die Europäische Union will und kann.

Erklärtermaßen möchten die EU-Staaten auf globaler Ebene führend sein, beim Klimaschutz oder bei der Verteidigung von Werten. Dazu fehlten aber bisher die Mittel und die politischen Instrumente ebenso wie starke Partner in der Welt. Die EU-Staaten verlieren sich, weil außen- und sicherheitspolitisch nach wie vor national statt europäisch dominiert, in der Regel im Klein-Klein.

Von Bidens Vorgänger Donald Trump wurden sie gedemütigt, auch weil er jede multilaterale Zusammenarbeit mehr beschädigte als nützte. Nach einem wahren Gipfelreigen – der G7 folgte das Treffen der 30 Nato-Staaten (von denen 21 EU-Mitglieder sind), dann der EU-USA-Gipfel – lässt sich zweifelsfrei sagen: Biden hat rhetorisch und symbolisch eine US-Kehrtwende hingelegt. Auch wenn keine großen Abkommen geschlossen wurden, die Basis für einen gemeinsamen weltpolitischen "Ruck" ist gelegt.

Kooperative Führungsmacht

Amerika ist nicht mehr nur "first" wie unter Trump. Es ist laut Biden "back" bei den europäischen Alliierten. Gemeinsam mit ihnen wollen die USA als starke, aber kooperative Führungsmacht vorgehen, um in einer neuen Weltordnung China, dem zweiten großen Rivalen neben Russland, entgegentreten zu können. Nicht nur wirtschaftlich. Deutlicher als seine Vorgänger hat er ausgesprochen, was Hauptziel und Herzstück der transatlantischen Partnerschaft sein muss: der Kampf um Demokratie und die Grundwerte.

Der schwierigste Teil seiner Europareise wurde daher am Schluss angesetzt, nach einer demonstrativen Selbstvergewisserung des Westens. Der US-Präsident traf in Genf mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen, auf europäischem Boden, aber doch in der neutralen Schweiz. Die beiden hatten jede Menge ungelöster Konflikte auf dem Spickzettel, die die USA betreffen – und in vielen Fällen auch die EU-Staaten, von Belarus über die Ukraine bis Syrien. Die Beziehungen sind schlecht.

Umso bemerkenswerter hebt sich davon ab, wie rundum freundschaftlich, kooperativ und optimistisch das Verhältnis zwischen Nordamerikanern und Europäern plötzlich dasteht. Wie eine "Party der Erlösten", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" zum Nato-Gipfel, so ausgelassen und erleichtert hätten sich Staats- und Regierungschefs um den US-Präsidenten geschart. Ein starkes Bild.

Aber gute Stimmung allein reicht nicht. Jetzt wird es darauf ankommen, ob die Europäer die "Chance Biden" praktisch nutzen können. Dafür müssten sie sich zunächst selbst einen Ruck geben: die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik revolutionieren, viel mehr in eine EU-Armee investieren. Und auch neue Handelsabkommen mit den USA vereinbaren. Vier Jahre hat die EU nun Zeit für ihre eigene weltpolitische Wende. Dann könnte wieder ein anderer, weniger netter US-Präsident kommen. (Thomas Mayer, 16.6.2021)