Ein historischer Händedruck in Genf.

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Die Air Force One im Landeanflug.

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Wladimir Putin in der Staatskarosse.

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US-Präsident Joe Biden verzieht keine Miene. Seine Augen bilden dünne Schlitze. Auf der anderen Seite postiert sich der Präsident Russlands, Wladimir Putin. Der Herrscher aus Moskau starrt ebenso ausdruckslos in die Kameras.

In der Mitte steht Guy Parmelin, der Bundespräsident der Schweiz. Parmelin, ein jovialer Weinbauer aus dem französischsprachigen Teil Helvetiens, begrüßt die beiden Staatsmänner. Die drei Landesfahnen hängen schlaff neben ihnen in der Hitze des Juni-Tages.

Parmelin verlässt die Szene. Putin und Biden gehen aufeinander zu. Die beiden Staatslenker, die bislang eine gegenseitige Abneigung verbindet, schütteln einander die Hände, lachen. Biden und Putin beginnen ihren Gipfel in Genf, den einige Medien zum Showdown stilisiert haben, mit deutlicher Körpersprache. Trotz ihrer Ressentiments, so scheint die Botschaft zu lauten, versuchen die Rivalen es wenigstens, sich gegenseitig etwas näher zu kommen.

Erstes Treffen als Präsidenten

Zum ersten Mal treffen sich die zwei in ihrer Funktion als Staatsoberhaupt, auf neutralem Schweizer Boden, in der Diplomatenstadt, die den europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen beherbergt. Schauplatz ist die Villa La Grange, ein schmuckes Schlösschen aus dem 18. Jahrhundert, inmitten eines feudalen Parks.

Am Ende, nach mehr als drei Stunden inklusive Pausen, fällt das Ergebnis der Konferenz zwar mager aus. Aber es gibt, wie Putin sich ausdrückt, einen "Hoffnungsschimmer". In seiner Presskonferenz nach dem Gipfel lässt er wissen, dass der russische Botschafter in Washington und der amerikanische Botschafter in Moskau wieder auf ihre Posten zurückkehren sollen. Es handle sich um eine "rein technische Frage", versichert Putin.

Beide Posten sind derzeit im Zuge der bilateralen Unstimmigkeiten vakant. Zudem kündigt Putin russisch-amerikanische Gespräche über Sicherheit im Cyberspace an. Und der russische Präsident lobt seinen US-Kollegen nahezu überschwänglich als konstruktiven, ausgeglichenen und erfahrenen Politiker. Fast gerührt zeigt sich der sonst so harte Mann aus dem Kreml, als er darüber berichtet, wie Biden über seine Mutter sprach. Das zeige Bidens "moralische Werte".

Versöhnliche Töne

Der US-Präsident und seine Leute hören sich die Ausführungen Putins genau an, sie werden live im Netz übertragen, mit Übersetzung. Das US-Team feilt an dem Statement, das Biden nun gegenüber den Medien vorträgt. Dabei schlägt auch der Mann aus dem Weißen Haus versöhnliche Töne an, lobt das soeben beendete Treffen als geradeheraus. "Es existiert eine wahre Aussicht, dass wir unsere Beziehungen verbessern", sagt er mit Blick auf das angespannte Verhältnis der beiden Staaten. "Für eine Zusammenkunft von Angesicht zu Angesicht gibt es keinen Ersatz", fügte Biden hinzu – er hatte die Sitzung mit Putin angeregt.

Nach Bidens Angaben wollen die beiden nuklearen Schwergewichte Konsultationen über "strategische Stabilität" führen. Damit solle etwa ein nichtintendierter Konflikt vermieden werden. Immerhin verfügen die beiden Militärmächte zusammen über mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit.

Aber andere, ernste, aktuelle Konflikte zwischen Washington und Russland lodern auch nach Genf weiter – eine Lösung ist nicht in Sicht. So prangern die Amerikaner weiter die aggressive auswärtige Destabilisierungspolitik Moskaus an, etwa in der Ukraine. Und sie beschuldigen die Moskauer Führung, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, wie im Fall des eingesperrten Regimekritikers Alexej Nawalny. Während Putin seinen Widersacher Nawalny in Genf als einen rücksichtslosen Gesetzesbrecher hinstellt, betont Biden: "Menschenrechte werden immer diskutiert werden."

Persönlicher Empfang für Biden

Als erster der Widersacher hatten Biden und seine 600 Begleiter den Tagungsort Genf erreicht: Am Dienstag gegen 16.20 Uhr setzte die Air Force One auf der Rollbahn des Flughafens Cointrin auf. Der Schweizer Präsident Parmelin ließ es sich nicht nehmen, den mächtigsten Politiker der westlichen Welt persönlich zu empfangen – trotz Corona-Pandemie mit Händedruck. Später zog sich Biden in die edelste Suite des schwerbewachten Hotels Intercontinental zurück, das von außen einen leicht vergammelten Eindruck macht.

Putin schwebte mit seinem Tross erst am Tag des Gipfels ein, kurz nach Mittag. Der Schweizer Bundespräsident erschien nicht auf dem Rollfeld. Handelte es sich um einen diplomatischen Fauxpas, dass Parmelin den US-Präsidenten, nicht aber den russischen Präsidenten in Empfang nahm?

Wladimir Putin schüttelte bereits vier US-Präsidenten zuvor die Hand: Bill Clinton im Jahr 1999, George W. Bush 2006, Barack Obama 2012 und Donald Trump im Jahr 2019.
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Der Gast aus Moskau ließ sich nichts anmerken, winkte kurz und nahm in einer überdimensionierten Staatskarosse Platz, die ihn durch leere Straßen zur Villa La Grange chauffierte. Die Stadt, in der sonst das Leben rund um den Genfer See pulsiert, präsentierte sich im Ausnahmezustand.

Luftraum gesperrt

Militärflugzeuge und Helikopter patrouillierten in einem strahlend blauen Luftraum, der für normale Maschinen weitgehend gesperrt war. Auf dem Genfersee kreuzten Polizeiboote, und auf dem Boden des Kantons Genf boten Armee und Sicherheitskräfte tausende Uniformierte auf.

Sie postierten sich an strategisch wichtigen Kreuzungen, kontrollierten Passanten und verrammelten selbst mit Verkehrsbussen Zufahrtsstraßen. "Monsieur Putin und Monsieur Biden bringen alles Durcheinander", ärgerte sich ein Anwohner, als ein Gitter auf der Montblanc-Brücke ihn zum Umkehren zwang. Die beiden so Gescholtenen selbst debattierten derweil in der hermetisch abgeschirmten Villa La Grange. Bei ihnen stand Weltpolitik auf dem Programm. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 16.6.2021)