Luise Reitstätter im Wiener Volkskundemuseum

Foto: StandArt

Seit Monaten begleitet uns eine Diskussion um die Zukunft der Museen. Sie wurden von der Pandemie besonders hart getroffen. Werden die Touristen wiedererlangt? Wie können Museen offener, interaktiver und sozialer gestaltet werden? Auf diese Fragen (und noch einige mehr) versucht eine Wiener Museumsstudie Antworten zu geben. Erstellt wurde sie federführend von der Wiener Kulturwissenschafterin Luise Reitstätter. Sie und ihre Kolleginnen haben die Antworten von jeweils 200 Besucherinnen und Besuchern nach deren Aufenthalt in fünf Wiener Museen analysiert.

STANDARD: Die großen Museen wurden in den letzten Jahren von Touristen gestürmt. Was denkt das lokale Publikum darüber?

Reitstätter: Die lokalen Besucher haben sich während der Pandemie und bei wiedergeöffneten Museen darüber gefreut, mehr Raum zur Verfügung zu haben.

STANDARD: Weil es keine Touristen gab.

Reitstätter: Gruppen, die gern ins Museum gehen, werden oftmals gegeneinander ausgespielt. Die Wahrheit ist natürlich, dass man nicht alle gleichermaßen bedienen kann. Das Empfinden war aktuell bei manchen Wienern aber so, dass das Museum wieder für sie da ist und nicht vornehmlich für Touristen.

STANDARD: Wie ist das Verhältnis der Wiener allgemein zu ihren Museen?

Reitstätter: Ein sehr gutes! In unserer Studie gaben 80 Prozent der Besucher mit voller Zustimmung an, dass sie sich in den Museen wohl und willkommen fühlen.

STANDARD: Die Eintrittspreise sind teilweise gesalzen, soziale Schranken sind für viele Menschen eine Hürde, den Weg ins Museum zu finden. Wie demokratisch sind Museen?

Reitstätter: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Ideal- und dem Realzustand. Historisch betrachtet, durfte man nach der Öffnung der vormals aristokratischen Sammlungen nur in angemessener Kleidung und an bestimmten Tagen Museen besuchen. Auch heute sind Museen noch Orte der Distinktion. Von familiärer Prägung bis zum Einkommen greifen viele soziale Ausschlussmechanismen.

STANDARD: Wie abbauen?

Reitstätter: Das ist alles andere als einfach. Es ist mit großem Aufwand und viel Engagement verbunden, Diversifizierung findet meist nur im Kleinen statt. Im Rahmen unserer Studie haben wir zum Beispiel Stadttouren gemacht und Menschen konkret eingeladen, mit uns ins Museum zu gehen. Vor einer Kommode im Mak sagte dann zum Beispiel ein früherer Nichtbesucher: Na, auf Willhaben würde die schnell weggehen. Etwas später meinte er: Kulturerbe ist einfach unbezahlbar. Geschichte kann man nicht kaufen. Das verdeutlicht gut die Prozesse, die individuell und im Kleinen passieren.

STANDARD: Ist es eine Illusion, dass man plötzlich ein neues, vielfältigeres Publikum findet?

Reitstätter: Ja, das ist es. Aber es geht auch um Prioritäten, was Gelder und Ressourcen anbelangt. Man kann eine tolle Sonderausstellung um 300.000 Euro machen, oder um dasselbe Geld auch sechs Kulturvermittler anstellen. Die Frage lautet: Was will ich?

STANDARD: Wie steht es um die Art der Präsentation? Wird diese als zeitgerecht beurteilt?

Reitstätter: Der große Zuspruch zu den heimischen Museen speist sich aus dem gewaltigen österreichischen Kulturerbe. Wie dieses präsentiert wird, wird nicht immer als erhellend empfunden. Zum Beispiel, wenn nicht erklärt wird, warum gewisse Objekte überhaupt ausgestellt sind. Dabei ist das eine kuratorische Grundfrage. Viele Beschwerden von Besuchern fallen in den Text- und Kontextualisierungsbereich.

STANDARD: Weil Texte in Kuratorensprech gehalten sind?

Reitstätter: Die Texte beantworten oft nicht die Fragen, die sich Besucher stellen. Ein Kommentar aus unserer Studie lautet: ‚Es gibt zu viel was und zu wenig warum.' Das bringt es gut auf den Punkt. Es wäre lohnend, einmal eine Ausstellung der kryptischsten Ausstellungstexte zu machen.

STANDARD: Gibt es zu wenig Vermittlung?

Reitstätter: Man kann nicht davon ausgehen, dass Objekte für sich selbst sprechen. Und ja: Vermittlung muss stärker in den Vordergrund gerückt werden. Besucher haben sehr unterschiedliche Hintergründe, es gibt keinen gemeinsamen Wissenshintergrund.

STANDARD: Was bedeutet das konkret?

Reitstätter: Die Objekte sind häufig kurz oder gar nicht beschrieben. Erläuterungen werden oft an das persönliche oder digitale Vermittlungsprogramm ausgelagert, sie sind kaum holistisch als Erzählungen im Raum angelegt. Ich plädiere dafür, die Ausstellungen selbst viel stärker als Kommunikationsmedien zu denken. Der Einsatz "sprechender" Objekte, die Besucher mit ihrer Lebenswelt verbinden, gut integrierte Videos oder auch Kommentare anderer Besucher können dabei helfen.

STANDARD: Eine Forderung von Kulturkritikern lautet, dass sich Museen weniger als Orte der Artefakte denn als Orte der Begegnung verstehen. Möchten das auch die Besucher?

Reitstätter: Es gibt die klassische Vorstellung, dass Museen objektbasierte Bildungsinstitutionen sind. Und so werden Museen auch nach wie vor von den Besuchern verstanden, wenn sie diese etwa in unserer Studie über alle Sparten als "informativ" und "interessant" beschreiben. Wenn man Museen als soziale Räume begreift, muss das nicht bedeuten, dass man sich vom klassischen Museumskonzept abwendet. Es sollte einem aber bewusst sein, dass drei Viertel aller Besucher in Gruppen ins Museum gehen. Darauf kann ich zum Beispiel mit mehr Sitzgelegenheiten oder konsumfreien öffentlichen Orten zum Verweilen und Austauschen reagieren.

STANDARD: Wie werden sich Museen verändern müssen?

Reitstätter: Der Tourismus wird sich nicht so schnell erholen, das verändert schon einmal vieles. Es wird in Zukunft andere Evaluationskriterien brauchen, Besuchszahlen können nicht alles sein. Es gibt noch andere Kennzahlen: Wie war die Aufenthaltsqualität? Kommen Besucher wiederholt? An was kann man sich eine Woche nach dem Besuch erinnern? Da ist jetzt auch die Kulturpolitik gefordert. (Stephan Hilpold, 20.6.2021)