Wien – Die Russen kommen! Drei Pianistengenerationen sind in diesen Wochen im Konzerthaus zu erleben: Der 30-jährige Feuervogel und Revolutionär Daniil Trifonov durchglüht am 1. Juli unter anderem Brahms’ ausladende, ruppige f-Moll-Sonate; Grigory Sokolov widmet sich schon diesen Freitag (18. 6.) prachtvoll-stolzen Chopin-Polonaisen und Rachmaninow-Préludes. Wie die Zahnrädchen eines Uhrwerks greifen beim 71-Jährigen die sorgsam ausbalancierten Stimmen ineinander.

Und Arcadi Volodos? Der präsentierte sich bei seinem Soloabend am Mittwoch als entspannter Erzähler. Mit bürgerlicher Besonnenheit trug Volodos zwei Spätwerke vor: das eines Endzwanzigers und das eines 60-Jährigen. Die nuancierten Deutungen von Schuberts G-Dur-Sonate D 894 und der sechs Klavierstücke op. 118 von Johannes Brahms wurden beim Russen zu Festspielen der Introspektion – im Lauf der zwei Konzertstunden fast etwas zu sehr.

Sternenstaub vom Steinway

Den Schubert eröffnete Volodos zwar mit vielen Fantasie-Fermaten im Hauptthema, dann folgte aber redliche Gefühlskunde in texttreuen Abstufungen und gern in warmer und kantabler Präsentation, der Ton mal daunenweich, mal dunkel. Warum muss man bei Schubert oft an Mörikes Gedicht Im Frühling denken? Alles so wundervoll unentschlossen und verträumt hier. Zum Schluss der 50-minütigen Interpretation gab’s von Volodos noch etwas Sternenstaub vom Steinway.

Üppiger dann der Brahms. Die Wogen am Beginn des ersten Intermezzos noch etwas schaumgebremst, die Eröffnung des zweiten etwas zu breitgewalzt. Aber dann dieser Fis-Dur-Teil: komplett "out of time". Beim sechsten Stück rückte Brahms mit seiner rhapsodischen Deutung in die Nähe seines Antipoden Liszt. Fünf Zugaben; die vierte, Federico Mompous El Lago, erfrischte stilistisch am meisten. Warmer Applaus im abgedunkelten Saal. Sokolov und Trifonov können kommen. (Stefan Ender, 18.6.2021)