Wir kennen sie mittlerweile, die eindringlichen Appelle jener Menschen, die das Klima schützen und den Kapitalismus zähmen wollen. Sie argumentieren mit der Verantwortung, unseren Nachfahren eine lebenswerte, möglichst bessere Welt zu hinterlassen.

Aber was, wenn man diese ethisch-moralischen Argumente beiseitelässt und sich nur auf eine nüchterne Betrachtung einlässt – nämlich die reine Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien am Beispiel der Stromproduktion? Dann erkennt man, dass Investitionen in erneuerbare Energien ökonomisch wesentlich sinnvoller sind als in fossile Brennstoffe. Die Weltrettung muss also nicht nur ideologisch getrieben sein, sie kann dazu auch das Geldbörserl füllen. Das hat verschiedene Gründe:

Radikaler Preisverfall

Die Verbrennung fossiler Rohstoffe ist aktuell mit großem Abstand die wichtigste Energiequelle der Menschheit. Kohle, Öl und Gas machen fast vier Fünftel unserer genutzten Energie aus. Allein 37 Prozent der globalen Stromproduktion erfolgen durch die Verbrennung von Kohle, auf dem zweiten Platz rangiert Gas mit 24 Prozent.

Warum ist das so? Weil es bis vor kurzem aus rein wirtschaftlicher (und kurzfristig gedachter) Perspektive noch richtig viel Sinn machte, wie das Datenvisualisierungsteam rund um Max Roser von "Our World in Data" kürzlich vorrechnete.

Dazu muss man sich die sogenannten Stromgestehungskosten ansehen. Es ist dies jener Preis, den ein Energieproduzent zumindest von seinen Kunden verlangen muss, um wirtschaftlich zu überleben. Es handelt sich dabei nämlich um die gesammelten Kosten für den Bau, die laufende Zufuhr mit dem Energieträger und die Instandhaltung des Kraftwerks. Wenn ein Stromanbieter nicht mindestens diesen Strompreis an seine Kunden weitergibt, macht er ein Minusgeschäft, sofern er nicht staatlich gefördert wird.

Aufgrund der Stromgestehungskosten wissen wir, wie viel es in einem bestimmten Jahr kostete, aus Kohle, Gas, Wind, Uran oder der Sonne eine Megawattstunde Energie zu gewinnen.

Foto: Standard / Jecel

Noch im Jahr 2009 war es um 22 Prozent teurer, eine neue Windkraftanlage zu eröffnen als ein Kohlekraftwerk. Für eine Megawattstunde Energie aus Photovoltaik musste man sogar 223 Prozent mehr berappen. Kohle war also lukrativer. In den folgenden zehn Jahren setzte der Strompreis aus Sonnenenergie aber zu einem rapiden Sturzflug an, sodass schon 2019 die Stromgestehungskosten pro Megawattstunde von 359 US-Dollar auf 40 US-Dollar herunterrasselten.

Während der Preis für Kohlestrom im selben Zeitraum nur um zwei Prozent abfiel, brach jener für Solarstrom um satte 89 Prozent ein. Um abstrakt zu veranschaulichen, wie drastisch ein solcher Preisverfall im Alltag wäre, ein Beispiel: Angenommen Sie hätten für Ihre Wohnung in der Innsbrucker Innenstadt im Jahr 2009 noch 1200 Euro Miete bezahlt. Dann hätten Sie bei einer ähnlichen Kostenreduktion zehn Jahre später nur mehr 132 Euro hinblättern müssen.

Die Lernkurve

Den Grund für diese radikale Vergünstigung erklärt Roser mit einer Lernkurve, die für erneuerbare Energien wesentlich günstiger ist als für fossile oder aktuell auch nukleare Energie. Im Gegensatz zu einem Kohle- oder Atomkraftwerk braucht eine Solarkraftanlage einerseits nicht für den Energieträger zu bezahlen. Kohle und Uran müssen abgebaut und eingekauft werden. Sie kosten Geld. Sonnenstrahlen sind gratis für jeden zugänglich.

Erneuerbare Energiewird durch Lerneffekte massiv günstiger. Vergleichbare Effekte sind bei fossilen Energieträgern nicht zu beobachten.
Foto: EPA/SEM VAN DER WAL

Während die Kosten für den Betrieb eines Kohle- oder Atomkraftwerks also sehr hoch sind, ist die Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische mit relativ niedrigen Kosten verbunden. Der Preis für Solarstrom definiert sich hauptsächlich über die Kosten für die eigentliche Technik wie die Erzeugung der Solarpanels. Auf die Effektivität heutiger Photovoltaikanlagen hochgerechnet, hätte ein einziges Solarpanel im Jahre 1956 noch knapp 600.000 US-Dollar oder eben eine halbe Million Euro gekostet. Dieses unheimlich unwirtschaftliche Forschungsprojekt voranzutreiben konnte sich nur die staatlich geförderte Weltraumindustrie leisten.

Dank Forschung und Entwicklung sowie eines relativen Preisverfalls um 94 Prozent konnte Photovoltaik Ende der 1970er aber erstmals auch auf der Erde in entlegenen Regionen für die Stromproduktion eingesetzt werden.


Ein Solarpanel kostet heute nur mehr 0,4 % vom Preis im Vergleich
zum Start der Technik in den 1970ern.

Die global installierten 0,3 Megawatt von damals reichten aber gerade einmal aus, um 20 Personen ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Der Lerneffekt bei Solarenergie war aber so stark, dass mit jeder Verdopplung der Kapazität der Preis für Solarpanels um 20 Prozent fiel, was einen logarithmischen Effekt nach unten bedeutete und so Solarpanels auf der ganzen Welt verteilte.

Von den teuren Anfangsinvestitionen profitiert heute die ganze Welt. Was reiche Industrienationen anfangs in die Forschung pumpten, könnte nun zu billiger, sauberen Energiequellen in den sich entwickelnden Länder führen und das globale Wirtschaftswachstum ankurbeln. Mittlerweile kostet ein Solarpanel nämlich nur mehr 0,4 Prozent dessen, was es am Beginn der Technologie gekostet hat. Das hat freilich riesige Auswirkungen auf den Solarstrompreis. Bei einer Verdopplung der globalen Photovoltaikkapazität fällt dieser jeweils um 36 Prozent. Eine ähnlich steile Lernkurve gibt es auch bei der Windenergie an Land. Dort führt eine Verdopplung der Windräder dazu, dass der Preis für Windenergie immerhin um fast ein Viertel (23 Prozent) günstiger wird.

Kohle lernt nicht

Eine vergleichbare Entwicklung ist bei Kohle nicht festzustellen – die Lernkurve bleibt aus. Viel eher stagniert der Preis schon auf relativ niedrigem Niveau, weil die Effizienz kaum mehr gesteigert werden kann und der Abbau und der Einkauf der Kohle mit steten Kosten verbunden bleiben. Mit Solar- oder Windstrom lässt sich da nicht mehr mithalten, wie die Grafik zeigt.

Vorne Solar, hinten Braunkohle. Hinten die Vergangenheit, vorne die Zukunft?
Foto: imago images

Gas wurde im Vergleichszeitraum vor allem durch den massiven Einsatz der Frackingtechnologie günstiger, wird langfristig aber nicht profitabler. Es war vor Ende des 20. Jahrhunderts sogar schon mal deutlich billiger – was auch die Volatilität der Preise fossiler Brennstoffe zeigt. Eine Erdölkrise hier, ein diplomatischer Disput im Nahen Osten dort, und schon reagieren Märkte.

Strom aus nuklearer Energie wurde hingegen deshalb teurer, weil immer strengere Regeln für den Bau eines Kraftwerks zu treffen sind, aber auch weil einige große wichtige Player wie Deutschland aus der Kernenergie aussteigen, Lieferketten dadurch geschwächt werden und diese nicht länger konkurrenzfähig sind. Zudem sind Atomkraftwerke nicht sehr Standardisiert, werden in keinen großen Stückzahlen gebaut und lassen sich viel schwerer vervielfältigen als etwa einzelne Photovoltaikanlagen.

Für viele Expertinnen und Experten könnte die Nuklearenergie aber dennoch genau dort einspringen, wo die Erneuerbaren noch ihre Schwächen haben. Bei der ständigen Verfügbarkeit der Energie – in windstillen Nächten etwa. Zwar werden den Energiespeichern ähnliche Lernkurven und damit Preisverfälle wie den Erneuerbaren prognostiziert, die nuklearen Energieträger punkten aber immer auch mit der niedrigen Mortalität, die mit ihrer Energiegewinnung einhergeht.

Weniger Tote

Fossile Energieträger zeichnen nämlich für 87 Prozent der globalen CO2-Ausstöße verantwortlich. Infolge verpesteter Luft sterben Berechnungen zufolge jährlich rund 3,6 Millionen Menschen verfrüht. Mit 24,6 Toten pro Terawattstunde liegt Kohle auf dem traurigen Spitzenplatz. Das Stockerl des Schreckens komplettieren Öl mit 18,4 Toten und Biomasse mit 4,6. Blech holt sich Gas mit 2,8 Personen, die aufgrund von Unfällen oder Schadstoffausstoß bei der Energiegewinnung verfrüht sterben.

Am Ende der Tabelle finden sich nach der Nuklearenergie (0,07 Tote pro Terawattstunde) durchwegs erneuerbare Energieträger. Wind mit 0,04 Opfern und Solar und Wasser mit je 0,02 Toten pro Terawattstunde. Eine Terawattstunde entspricht übrigens dem jährlichen Energiebedarf von rund 27.000 EU-Bürgern. Es scheint zwar einigermaßen makaber, Tote pro Terawattstunde hochzurechnen, wer aber rein wirtschaftlich an die Sache herangehen will, muss eben auch die Erkrankten und Toten, die der wirtschaftenden Bevölkerung wegbrechen und dem Gesundheitssystem Kosten verursachen, miteinrechnen.

Was bedeutet das nun für den menschlichen Hunger nach Energie? Klug zu wirtschaften bedeutet heute, in erneuerbare Energien zu investieren. Staaten und Unternehmen sollten dabei hohe Anfangskosten nicht scheuen, weil sich erneuerbare Energien später umso deutlicher rentieren. Beim Geldscheffeln nebenher die Welt ein kleines Stück zu retten – da gibt es wahrlich schlimmere Gefühle. (Fabian Sommavilla, 20.6.2021)