Tirols Landeshauptmann Platter spricht von einer "dringend notwendigen Güterverlagerung auf die Schiene".

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Innsbruck/Brüssel – Die Einigung zwischen Unterhändlern der EU-Länder und des Europaparlaments auf die Ausgestaltung einer Eurovignette sorgt für heftigen Unmut in Tirol – jenem Bundesland, das besonders von überbordendem Transitverkehr betroffen ist. Es werde offenbar von manchen "nur das Ziel verfolgt, die Hürden für den Straßentransit zu senken und damit im Gegenzug die dringend notwendige Güterverlagerung auf die Schiene zu torpedieren", erklärte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP).

Vor allem das offenbare Vetorecht Italiens und Deutschlands bei eventuellen Erhöhungen der Maut auf der Brennerstrecke stieß Platter sauer auf. Dies sei "völlig indiskutabel". "Ich erwarte mir in dieser Frage die volle Unterstützung der Bundesregierung im Sinne des Transitkapitels im Regierungsübereinkommen", nahm Platter den Bund in die Pflicht. Dabei hätte die Eurovignette das "Potenzial, einen Paradigmenwechsel in der europäischen Verkehrspolitik einzuleiten", meinte Platter.

Felipe: Verhöhnung des Green Deal

Landeshauptmannstellvertreterin und Verkehrsreferentin Ingrid Felipe (Grüne) sprach von einer "chaotischen Nacht- und Nebelaktion" und einer Verhöhnung des Green Deal, die keineswegs im Sinn der Europäischen Kommission sein könne. "Ich bin bezüglich der weiteren Vorgehensweise in enger Abstimmung mit Bundesministerin Gewessler (Grüne), die bereits mit dem nächsten Vorsitzland Slowenien Kontakt aufgenommen hat, um dort für wesentlich wirksamere Akzente in der zukünftigen europäischen Verkehrspolitik einzutreten", erklärte Felipe. Die Verhandlungen seien noch nicht zu Ende, es gelte nun, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diesen "faulen Kompromiss noch zu einer verkehrs- und klimapolitisch vernünftigen Lösung zu machen", betonte Felipe.

Die Tiroler FPÖ nahm die Eurovignetten-Einigung zum Anlass, heftige Kritik an der EU zu üben. "Die EU hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt, jetzt gilt es, allein zu kämpfen", teilte Landesparteiobmann Markus Abwerzger in einer Aussendung mit und attackierte auch die Tiroler Landesspitze: "Die schwarz-grüne Landesregierung hat es seit Jahren verabsäumt, die angespannte Situation des Transits in Brüssel klar und deutlich darzulegen, Landeshauptmann Günther Platter und Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe tragen Mitschuld am Verhandlungsdebakel". Es brauche nun Notmaßnahmen, Abwerzger brachte sogar ein mögliches "Sperren der Brennerautobahn" ins Spiel.

SPÖ fürchtet "Transitlawine"

Eine "Transitlawine" sah unterdessen SPÖ-Verkehrssprecher Philip Wohlgemuth auf Tirol zurollen. "Die Unterstützungssignale und das angedeutete Verständnis von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor wenigen Wochen für Tirol waren offenbar nur das Leuchten einer Warnblinkanlage für mehr Transit", meinte Wohlgemuth. Er sah neben der Europäischen Union auch "die Tiroler Volkspartei und die Grünen in Tirol, Wien und Brüssel" in der Pflicht: "Den Ankündigungen seit 2018 müssen endlich Taten folgen. Nach der Corona-bedingten Entspannung beobachten wir bereits wieder ein stetes Steigen der Verkehrszahlen." Tirol brauche jedenfalls "mehr Durchsetzungskraft und Unterstützung in der EU".

Die Einigung auf europäischer Ebene war am Mittwoch auch auf Kritik von Europaparlamentariern von ÖVP und FPÖ gestoßen. Auch die Tiroler Neos kritisierten das eingeräumte Vetorecht. In den kommenden Jahren sollen unter anderem zeitbasierte Mautsysteme für Lkws auf bestimmten Strecken auslaufen. Künftig sollen Strecken und CO2-Emissionen stärker in die Berechnungen einfließen. Es seien jedoch Ausnahmeregeln in "begründeten Fällen" möglich. So können die Mitgliedsländer etwa eine Kombination aus zeit- und streckenabhängigen Gebührensystemen einführen.

Der Beschluss muss noch offiziell von den EU-Ländern und dem Europaparlament angenommen werden. Nachdem die Richtlinie in Kraft getreten ist, haben die EU-Länder den Angaben zufolge zwei Jahre Zeit, die Bestimmungen in nationales Recht zu übernehmen. (APA, 17.6.2021)