Joe Biden und Wladimir Putin haben ihr erstes Treffen als Präsidenten hinter sich.

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In Genf war das Treffen Joe Bidens mit Wladimir Putin gerade zu Ende gegangen, da sprach Mike Pompeo auf dem Sender Fox News von amerikanischer Schwäche. Biden, schimpfte er, habe einen schweren Fehler gemacht, indem er sich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten verweigert hatte. Er hätte Putin direkt und sofort, Pult neben Pult, widersprechen müssen, wann immer sein Gegenüber Unwahrheiten verbreitete. Und wenn schon Soloauftritte, hätte er dem Mann aus dem Kreml auf keinen Fall den Vortritt lassen dürfen. "Das größte Risiko ist, dass die Welt uns Amerikaner als schwach ansehen wird", orakelte der Republikaner. "Wenn Beschwichtigung zum amerikanischen Verhaltensmuster wird, glauben Tyrannen in aller Welt, sie hätten freie Bahn."

Es sind Warnungen, wie man sie nach einer Begegnung wie der in der Schweiz oft zu hören bekommt von konservativen Hardlinern. Pompeo rechnet sich Chancen aus, 2024 fürs Oval Office zu kandidieren. Dass er schon jetzt sein Profil zu schärfen versucht, liegt auf der Hand. Dennoch fallen seine Kommentare bei Fox News, dem Hauskanal der Republikaner, unter die Rubrik Bizarres. Was an der Vorgeschichte liegt.

Pompeo war Außenminister, als der damalige Präsident Donald Trump im Juli vor drei Jahren nach Helsinki flog, um sich mit seinem russischen Kollegen zu treffen. Nach der Unterredung erklärte Trump, er vertraue Putin, wenn der ihm versichere, Russland habe sich 2016 nicht in den US-Wahlkampf eingemischt. Damit brüskierte er seine eigenen Geheimdienste, die das genaue Gegenteil festgestellt hatten. Senator John McCain, zu der Zeit bereits todkrank, sprach von einer der beschämendsten Vorstellungen, die ein Präsident der Vereinigten Staaten je geboten habe.

Gedanken an den Notfall

Russland-Expertin Fiona Hill, seinerzeit im Sicherheitsrat der Regierungszentrale zuständig für das Verhältnis zu Moskau, schob dieser Tage ein bemerkenswertes Detail nach. Trumps Unterwürfigkeit gegenüber Putin habe sie dermaßen alarmiert, dass sie in Helsinki mit dem Gedanken spielte, einen medizinischen Notfall vorzutäuschen, um einen Abbruch der Pressekonferenz zu erreichen. Von Pompeo war damals, sicher auch amtsbedingt, kein kritisches Wort zu hören. Umso heftiger teilt er jetzt aus.

Ins gleiche Horn stößt Mark Meadows, Trumps letzter Stabschef im Weißen Haus. "Unsere Gegner riechen unsere Schwäche", orakelte er vor dem Gipfel. Putin, sagte er hinterher, werde sich noch dreister als bisher verhalten, denn er habe Bidens Schwäche gespürt. Solange Trump an der Pennsylvania Avenue residiert habe, habe sich der Kreml in Acht nehmen müssen. Damit sei es nun leider vorbei.

Die eigenwillige Deutung des Geschehens, umso eigenwilliger angesichts des Helsinki-Kapitels, veranlasste wiederum einige von Bidens Parteifreunden, schnell und entschieden zu widersprechen. Der US-Präsident habe seinen Mann gestanden, lobte Jeanne Shaheen, Senatorin aus New Hampshire. Er habe klargestellt, dass er nicht wegschauen werde, wenn Putin provoziere. "Böswillige Akteure" hätten mit Konsequenzen zu rechnen, das sei in Genf seine Botschaft gewesen.

Fiona Hill, nun beim Thinktank Brookings Institution tätig, formuliert es wesentlich nüchterner. "Putin hat gesagt, was er sagen wollte. Biden hat gesagt, was er sagen wollte", zieht sie lakonisch Bilanz. Jetzt könne man sich den Schweiß von der Stirn wischen und zur Tagesordnung übergehen.

In Moskau waren die Reaktionen nicht so zwiespältig: Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, das Treffen sei "eher positiv" gelaufen. Putin selbst hatte schon in seiner Abschlusspressekonferenz den "offenen und konstruktiven" Dialog gelobt und erste Absprachen hervorgehoben. Für die russische Führung war es wichtig, den Akzent auf die strategische Sicherheit zu legen, und das ist ihr gelungen. Immerhin ist dies für Moskau seit Jahren ein Reizthema. Mit dem Einsatz von Arbeitsgruppen hat auf diesem für Russland zentralen Gebiet nun der Dialog eingesetzt.

Lob aus Moskau für Biden

Moskau sieht sich auch in seiner Rolle als Großmacht bestätigt. Der Gipfel war "von seiner Bedeutung her zweifellos das wichtigste Ereignis der Europatournee Joe Bidens", erklärte der Chef des Außenausschusses im Föderationsrat, Konstantin Kossatschow. Das Gespräch nannte er "gelungen", wobei er auch Bidens politische Erfahrung und Kompromissbereitschaft lobte. Russlands Position sei aber stark gewesen. Die Pressekonferenz habe Putins Sicherheit auch bei heiklen Themen wie Cyberangriffen unter Beweis gestellt.

Kossatschows Kollege Alexej Puschkow erwartet nun zumindest eine "gewisse Entspannung". Die Rückkehr der Botschafter und der Beginn eines Dialogs zu Sicherheitsfragen seien "nicht so wenig angesichts der Differenzen beim Großteil der Fragen in der Weltpolitik."

Und am Ende war Moskau wohl tatsächlich nicht unglücklich darüber, dass es keine gemeinsame Pressekonferenz gab. So konnte Putin lästige Fragen zu seinem Widersacher Alexej Nawalny lässig beiseitewischen. Dieser habe mit seiner Einreise bewusst seine Verhaftung provoziert, sagte der Kremlchef. Auch seine Behauptung, dass dessen Fonds für Korruptionsbekämpfung Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails herausgebe und deswegen als extremistisch eingestuft worden sei, blieb auf diese Art unwidersprochen. (Frank Herrmann aus Washington, André Ballin aus Moskau, 17.6.2021)