"Too cheap to meter" – Energie so billig, dass sich das Messen gar nicht mehr auszahlt: Das hätte Atomstrom einmal sein sollen. Lewis Strauss, der Chef der US-amerikanischen Atomenergiekommission, der die Phrase in den 1950er-Jahren prägte, heizte damit einen Urwunsch der Menschheit neu an: den Traum von beinahe unendlich verfügbarer Energie.

Die Geschichte der Menschheit, die nach und nach die Herrschaft über die Natur übernahm, ist untrennbar mit dem Ziel verknüpft, auch die Energie zu beherrschen. Lange hatten wir dafür nur unsere eigene Muskel- und Hirnkraft zur Verfügung.

Doch dann wurde durch Feuer die Nahrung besser nutzbar, lernte der Mensch, wie er die Energie von Tieren und noch später die von Traktoren einsetzen kann, um die Felder effizienter zu pflügen. Wind und Wasser mahlten Getreide für uns, Kohle und Öl machten unüberwindbare Distanzen bezwingbar, die Atombombe setzte Energie so schnell frei, dass sie die Welt in Angst und Schrecken versetzte, jetzt entlasten Computer unsere Hirne. Heute verbraucht ein Mensch das rund 50- bis 100-Fache seiner Muskelkraft.

Teures Gut

Trotzdem bleibt Energie nach wie vor ein rares Gut – vor allem wenn sie sauber sein soll. Wenn man über Klimaziele spricht, spricht man daher oft nicht nur darüber, wie man Energie grüner gewinnen, sondern auch weniger von ihr verbrauchen kann.

Aber was wäre eigentlich, wenn saubere Energie plötzlich in fast unendlichem Ausmaß und kostengünstig verfügbar wäre? Und vor allem: Wäre das überhaupt möglich?

Fakt ist, dass auch in Frankreich, wo Kernenergie mehr als 70 Prozent Anteil am Strommix ausmacht, Haushalte nach wie vor einen Stromzähler installiert haben – von "too cheap to meter" keine Spur. Atomstrom kostet kaum weniger als solcher aus Kohle oder erneuerbaren Quellen. Im Vergleich zu den meisten anderen Formen der Energiegewinnung ist die Atomkraft in den vergangenen Jahren aufgrund sinkender Investitionen und hoher SicherheitsStandards sogar teurer geworden (siehe Grafik links).

Fusionsenergie

Große Hoffnungen setzen viele deshalb nun nicht mehr in Kernspaltung, sondern Kernfusion. Der Optimismus erinnert an die vollmundigen Versprechen der Kernspaltungsanhänger in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts – und er lässt sich sehr leicht an den Landingpages der dutzenden Start-ups ablesen, die in den letzten Jahren entstanden sind und an der Technologie forschen. "Den sichersten Weg zu grenzenloser, sauberer Fusionsenergie" will etwa das Unternehmen Commonwealth Energy gefunden haben, das von Investoren inzwischen mehr als 200 Millionen US-Dollar eingesammelt hat. "Saubere Energie – überall und für immer", verspricht auch General Fusion. Selbst das milliardenschwere internationale Forschungsprojekt Iter schreibt auf seiner Website groß von "unlimitierter Energie", die Fusionsreaktoren einmal liefern sollen. Ist es wirklich so einfach?

Minisonne auf der Erde: Viele hoffen auf die Revolution in der Fusionsenergie.
Foto: CLEMENT MAHOUDEAU / AFP

"Wir wollen nicht das das Blaue vom Himmel versprechen", sagt der Wiener Physiker Friedrich Aumayr, der selbst an Iter forscht. Zwar mache die Forschung derzeit große Fortschritte, einsatzfähig sei Fusionsenergie aber "vielleicht in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts". Für die Energiewende ist das leider zu spät. Bei Fusionsenergie gehe es schließlich um nicht weniger als darum, "eine kleine Miniatursonne auf der Erde zu zünden", erklärt Aumayr. Statt Atomkerne wie in klassischen Uranreaktoren zu spalten, werden sie in Fusionsreaktoren zu neuen Atomkernen verschmolzen. Dabei wird eine enorme Energiemenge frei – so wie eben in der Sonne.

Der "Brennstoff" von Fusionsreaktoren, Deuterium und Tritium, ist dabei nicht nur fast ungefährlich, sondern auf der Erde praktisch unendlich vorhanden. 350 Kilo könnten einmal so viel Strom erzeugen wie 2,7 Millionen Tonnen Kohle oder 70 Quadratkilometer Photovoltaikfläche, rechnet Aumayr vor.

Zu große Hoffnungen auf die ewige kostenlose Energie dämpft der Physiker aber gleich. Ein Fusionskraftwerk könnte in Zukunft etwa ähnliche Leistung liefern wie ein Kernkraftwerk. Die Weltmarktpreise für die speziellen Rohstoffe würden sich wohl mit steigendem Bedarf anpassen, und die Kraftwerke müssten erst gebaut werden. Aber was wenn?

Indoor-Farming

Da wäre zum Beispiel Indoor-Farming. Zunächst klingt es absurd, die Landwirtschaft in Gebäude zu holen, Sonne und Regen auszusperren und mittels Leuchten und Pumpen künstlich wieder nachzubauen. Weil man die Beete aber im Gegensatz zu draußen beliebig hoch stapeln kann, wächst auf der gleichen Fläche ein Vielfaches von dem, was auf dem Feld möglich wäre – und das auch in Städten. Die Laborbauern können Wasser, Wind und Licht genau kontrollieren und so das meiste aus den Pflanzen herausholen – und zwar das ganze Jahr lang. Bis zu hundertmal mehr Salat und Gemüse wären so pro Quadratmeter möglich, auch auf Pestizide kann man im Indoor-Feld getrost verzichten.

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Supersauber, aber auch superstromfressend: Indoor-Farming.
Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Klingt wie ein erstrebenswertes Konzept – wäre da nicht die Sache mit dem Energieverbrauch. Das Unternehmen iFarm, das selbst Lösungen für Indoor-Farming anbietet, rechnet mit einem Energieverbrauch von 150 Watt für einen Quadratmeter Indoor-Rucolabeet, für Erdbeeren sogar mit dem Doppelten. Richtig lohnen – sowohl ökonomisch als auch ökologisch – könnten sich die vertikalen Felder also erst, wenn es genügend saubere und günstige Energie gibt.

CO2-Abscheidung

Ist CO2 erst einmal in der Atmosphäre, bekommt es kaum wieder von dort weg – doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Dutzende Unternehmen weltweit arbeiten an Geräten zur CO2-Abscheidung, welche die Altlasten vergangener Generationen aus der Luft filtern und unschädlich machen sollen.

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Wiedergutmachung, die schädlich sein kann: CO2-Abscheidungsanlagen.
Foto: REUTERS/Aaron Sheldrick

Bei diesem Prozess muss man allerdings aufpassen, nicht mehr Schaden anzurichten, als man wiedergutmachen will. Will man die Technologie in größerem Maßstab einsetzen, so wie es viele Staaten vorhaben oder auch die Internationale Energieagentur (IEA) vorschlägt, würde sie enorme Mengen an Strom schlucken. Wissenschafter modellierten in Nature Communications, dass bis zum Ende des Jahrhunderts rund ein Viertel der weltweit produzierten Energie für CO2-Abscheidung- und -Speicherung draufgehen könnte. Ist diese nicht sauber, führt man das Vorhaben ad absurdum.

Power-to-X

Im Rennen zur CO2-Nettonull heißt das Pferd, auf das vor allem jene setzen, die derzeit von fossiler Energie profitieren, synthetische Kraftstoffe. Keine neuen Autos, keine Ladestationen und keine Batterien wären notwendig, würde man Strom in künstlichen Sprit umwandeln, der fossilem chemisch gleichwertig ist.

Das geht zwar – in dem mehrstufigem Prozess gehen aber rund drei Viertel der Energie verloren. Energie, die wir derzeit nicht haben und besser in Elektroautos landen sollte, monieren Kritiker, die befürchten, dass sich letztendlich nichts ändern könnte. Aber klar: Gäbe es Energie im Überfluss, wäre synthetischer Sprit eine Lösung, die uns wenig Umstellungen abverlangen würde.

Interstellare Raumfahrt

In Raumschiffe verbaut könnte ein Fusionsantrieb diese auf bisher ungeahnte Geschwindigkeiten beschleunigen und so der Schlüssel zu Reisen in andere Sonnensysteme sein, fabulieren manche Forscherinnen und Forscher. Aber das ist nun wirklich Science-Fiction.

Wenn überhaupt ist der Durchbruch bis zur Energie im Überfluss noch Jahrzehnte entfernt. Physiker Aumayr plädiert deshalb für "smarte Ideen", die den Energieverbrauch senken – und nicht steigern. (Philip Pramer, 21.6.2021)