Sportanwältin Christina Toth: "Da sind historische Wunden vorhanden."

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Die Sperre von Stürmer Marko Arnautović für ein Spiel sorgt weiter für Aufregung. Sportanwältin Christina Toth spricht von einer durchdachten Strafe des europäischen Fußballverbands (Uefa). An einen Präzedenzfall glaubt die 40-Jährige nicht.

STANDARD: Der Fall Arnautović bleibt Diskussionsthema. Wie schätzen Sie das Strafmaß ein?

Toth: Bei einer rassistischen Beleidigung oder einer Abwertung einer ethnischen Minderheit hätte die Uefa auch nach Paragraf 14 ihres Regelwerks urteilen und zehn Spiele Sperre verhängen können. Der Verband entschied, dass es nur eine einfache Beleidigung eines Gegenspielers war. Der ÖFB kann mit dem Urteil zufrieden sein und das abhaken.

STANDARD: Ist es ein salomonisches Urteil der Uefa?

Toth: Ja, das würde ich schon sagen. Auch in Anbetracht dessen, dass Arnautović sich entschuldigt hat bei Alioski und dass man die Sache nicht weiter aufbauschen wollte. Man weiß ja nicht mehr, weil es keine offizielle Begründung gibt, sondern nur die Entscheidung veröffentlicht wurde.

STANDARD: Wo fängt eine Beleidigung an? Wo liegen die Grenzen?

Toth: Im Strafrecht ist es nicht klar abgegrenzt, wann etwas eine Beleidigung und wann etwas eine milieubedingte Unmutsäußerung ist. Die Uefa hat schon höhere Strafen verhängt. Der Tscheche Ondřej Kúdela von Slavia Prag wurde für zehn Spiele wegen einer rassistischen Beleidigung gesperrt.

STANDARD: Kann die Causa Arnautović zu einem Präzedenzfall werden, der in Zukunft einer Flut von Klagen im Fußball Tür und Tor öffnet?

Toth: Konfliktsituationen gibt es im Fußball ja immer wieder. Sei es, dass ein Luis Suarez einen Gegenspieler gebissen hat oder die Schweizer Teamspieler Shaqiri und Xhaka beim Torjubel einen doppelköpfigen Adler formten, der die albanische Flagge ziert. Passiert es auf großer medialer Bühne, tut sich die Uefa noch schwerer, wegzuschauen, weil die Vorbildwirkung eine andere ist. Ich glaube nicht, dass Verbände deshalb vermehrt Strafen fordern werden. Der Fall Arnautović wird eher eine abschreckende Wirkung für die Spieler haben. Weil sie sehen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat.

STANDARD: Werden Teams in Zukunft eine Schar von Lippenlesern beschäftigen, um Wortgefechte zur Anzeige zu bringen?

Toth: Nein, das glaube ich nicht. Die Frage ist, ob das den Aufwand wert ist, 22 Spielern auf den Mund zu schauen. Und ihnen die Worte möglicherweise umdreht.

STANDARD: War der Protest der Nordmazedonier für Sie verständlich?

Toth: Die politische Komponente im Konflikt zwischen Serben und Albanern spielt eine große Rolle. Dass die Emotionen da hochgehen können, kann ich als Kärntner Slowenin ein wenig nachvollziehen. Da sind historische Wunden vorhanden, der Nationalstolz verletzt. (Florian Vetter, 18.6.2021)