"Er kann Kanzler einfach nicht": Horst Pirker über Sebastian Kurz, dem er Mangel an Bildung und Wertebildung attestiert.

Foto: Heribert Corn

Wien – VGN-Verleger Horst Pirker bleibt dabei, auch wenn das Finanzministerium ein Dementi verschickte: Das Ministerium habe den Werbestopp für alle Medien der VGN-Medien-Holding um die Marken "News", "Trend", "Woman" und "TV-Media" nach einer kritischen "News"-Titelstory über die ÖVP des Sebastian Kurz ("So mies geht's Türkis") angekündigt. Im STANDARD-Interview analysiert Pirker die Medien- und Inseratenpolitik der türkisen ÖVP nun grundsätzlicher. Sein drastischer Befund: "Ich nenne das eine Form der Orbánisierung. Kurz versucht, alle Macht bei Türkis zu konzentrieren."

"Belohnt, sediert oder bestraft"

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán brachte die Medien seines Landes unter seine Kontrolle. Mit – auch wirtschaftlichem – Druck, bis die Eigentümer aufgaben und an Orbán nahestehende Unternehmer verkauften, die sich wohl auf anderen Wegen öffentlich finanzierte Vorteile erwarten konnten: So fasst Pirker die politische Strategie im Nachbarland zusammen.

Sebastian Kurz' ÖVP gehe zwar einen etwas anderen Weg als Ungarn, aber "offenbar mit ähnlichen Zielen", sagt der Verleger: "Mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten werden Medienunternehmen belohnt, sediert oder bestraft." Das sei für Österreich nicht gänzlich neu, noch jede Regierung der jüngeren Vergangenheit habe das mehr oder weniger versucht. "Die erste Eskalation gab es in der Regierung Faymann." Unter Sebastian Kurz habe diese Strategie aber noch einmal "eine neue Dimension erreicht".

"Machtübernahme"

Kurz kombiniere diese Strategie nämlich mit einem "Marsch durch die Institutionen", sagt Pirker und verweist auf die relative türkise Mehrheit im Nationalrat (Legislative), auf die türkise Dominanz in der Regierung (Exekutive) und nun die massiven Angriffe auf die Justiz (Judikatur), Letzteres insbesondere durch den ÖVP-Abgeordneten Andreas Hanger praktiziert.

"Kurz und die türkise ÖVP unternehmen den Versuch einer totalen Machtübernahme in diesem Land", sagt Pirker. Die Kerngruppe der türkisen ÖVP um Kurz aktiv, die übrige ÖVP "passiv, durch zuschauen, zulassen". Nachsatz: "Das ist frei von Polemik. Wenn man versucht, das kritisch zu würdigen, muss man leider zu diesem Befund kommen. Und das sage ich als einer, der sich der ÖVP einmal durchaus nahe gefühlt hat." Pirker: "Das ist ernst."

Hat Pirker auch einen Lösungsansatz? "Die politische Situation kann ich nicht beeinflussen", sagt er. Aber er hat ein Alternativmodell zur freihändigen und willkürlichen Vergabe von Werbegeldern "nach Gutsherrenart", wie er sagt – und diese so beschreibt: "Bist du brav, kriegst du einen Haufen Geld, bist du nicht brav, kriegst du wenig Geld – oder eben keines mehr."

Gesetz statt "Willkür"

Pirker verlangt: "Geldflüsse der Politik an Medien bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Lieber ein nicht perfektes Gesetz als die heute geübte Willkür." Sein Ansatz, insbesondere für Werbebuchungen, aber auch Förderungen:

  • Ein Drittel der Mittel soll als gleich großer Sockelbetrag an jedes Medienunternehmen, jeden wirtschaftlichen Eigentümer gehen; damit würden "kleine und schwache Unternehmen überproportional gefördert".
  • Ein weiteres Drittel könnte nach Leistungsdaten ausbezahlt werden – er nennt als Beispiel Messgrößen wie Auflagen, Leser- und Userzahlen oder auch Verweildauer.
  • Das übrige Drittel solle sich an qualitativen Kriterien orientieren. Ein mögliches Kriterium wäre für ihn digital die Verweildauer, aber auch eine unabhängige Jury von Wissenschaftern oder Richtern kann er sich vorstellen.

Über die Aufteilung der drei Geldtöpfe lasse sich diskutieren, über Kriterien ebenso, aber: "Alles ist besser als politische Willkür."

"Er kann Kanzler einfach nicht"

Hat Pirker diese Überlegungen schon dem für Medien und Medienpolitik zuständigen Kanzleramt übermittelt? Der Verleger verneint: "Der Kanzler ist interessiert an Kontrolle, nicht an intellektueller Auseinandersetzung." Darin sieht Pirker auch ein Hauptproblem des Regierungschefs. Kurz sei "vermutlich nicht bösartig", es fehle ihm für sein Amt an Reife und Bildung, die insbesondere auch Wertebildung einschließe. "Er kann Kanzler einfach nicht", sagt Pirker. (fid, 18.6.2021)