Die besten Ideen entstehen, wenn sich schlaue Menschen über etwas ärgern. In der Regel finden sie sich nämlich nicht damit ab und streben nach Lösungen für Probleme. Und vor Wasserpflanzen in der Alten Donau bei Wien oder der Donau bei Tulln ekeln sich eben auch Wissenschafter – oder sind zumindest davon genervt. Zwar werden die Algen in Akkordarbeit von Mitarbeitern der Stadt Wien abgemäht, aber ein paar erwischen einen beim Baden immer und beschwören bei manchen die wildesten Fantasien von Wasserschlangen und anderen Ungeheuern herauf. Bei anderen regen sie eben den Erfindergeist an.
Für eine Gruppe Boku-Forschender war ein Afterwork-Treffen ein solcher Ausgangspunkt. Was tun mit den tausenden Tonnen an Wassergras, die bis dato von der Stadt Wien um einen Millionenbetrag geerntet, entsorgt und nur teils kompostiert werden?
Kaskadische Nutzung
Abseits der Reinigung der Gewässer müssen die doch auch noch einen praktischeren Sinn für uns haben, ehe wir sie zum Verrotten schicken. Möglichst viele Verwendungszwecke für einen Stoff oder ein Produkt hintereinander zu finden ist das, was die Boku-Experten unter "kaskadischer Nutzung" verstehen – eine Art stufenweise Verwertung, bei der die stoffliche Verwertung immer vor der energetischen kommen muss, weil Verbrennen kann ich es am Ende immer noch.
Also machten sie sich an die Arbeit. "Aber so etwas kann man nicht nur theoretisch machen, und da lässt sich auch wenig prophezeien, da muss man einfach mal ausprobieren", sagt Thomas Rosenau, Leiter des Instituts für die Chemie nachwachsender Rohstoffe an der Boku Wien und Lehrender am Universitäts- und Forschungszentrum Tulln. Ein kurzes Gespräch mit ihm macht klar: Dieser Mann brennt für nachwachsende Rohstoffe.
Eine der Ideen: Weil Wasserpflanzen das Lignin fehlt, das etwa Holz hart und wasserabweisend macht, lässt sich das grün-bräunliche faserartige Material ohne viel Aufwand weiterverarbeiten und in Formen pressen. Durch die hohen Temperaturen beim Pressen ist zudem alles keimfrei, weshalb es sich für Schwimmbadgeschirr oder andere Einweg-Essensbehälter ideal eigne. Würde ein Behältnis versehentlich im Wald oder Wasser landen, wäre es binnen weniger Tage organisch zersetzt. Ein Donauinselfest mit Tellern und Pommestüten aus dem Seegras von nebenan? Möglich wäre es und ein schönes Zeichen nachhaltiger Nutzung, meint Rosenau.
Wasser muss während des Prozesses keines hinzugefügt werden, weil die Pflanzen bereits genug gespeichert haben. Ebenso braucht es kaum Chemikalien und keine organischen Lösungsmittel. Nur die gespeicherten Eiweiße muss man rausbringen, was aber keine große Herausforderung darstellt. Übrig bleibt ein Dünger oder Ausgangsstoff für Biogas. Sind die Zwischenschritte zu aufwendig, könnte man das Seegras auch zu bestehender Biomasse hinzumischen und dadurch bessere Werte in den Biogasanlagen erzielen.
Kein Weltretter, aber eine gute Idee
Ein eigenes Werk dafür zu bauen rentiere sich aufgrund der nur saisonalen und überschaubaren Verfügbarkeit wohl kaum. Am besten wäre es deshalb, sich an eine bestehende Anlage anzudocken, glaubt Rosenau. So würde die freigesetzte, überschüssige Energie bei der Papier-Zellstoffproduktion locker dafür ausreichen, Seegrasteller herzustellen.
Die Forscher sind sich sehr wohl bewusst, dass das keine Raketenwissenschaft ist, die sie hier betreiben. Das "war auch nie eines unserer großen Leitprojekte, aber eine schöne Spielerei mit netter Resonanz", sagt Rosenau. Es werde daraus auch keine neue Bioraffinerie entstehen, die uns auf den Weg zur grünen Ökonomie katapultiert. Es handle sich aber um eine Lösung für ein kleines, lokales Problem. Und dieses Problem ist freilich nicht auf Österreich begrenzt. Überall dort, wo viele Phosphate in Gewässer gelangen, florieren die Wasserpflanzen. Und wenn sie abgemäht und genutzt werden, haben alle was davon. Nicht nur die Schwimmenden, die keine Ungeheuer mehr befürchten müssen. (Fabian Sommavilla, 5.7.2021)