Szenen aus einem Erinnerungsreigen wie bei David Lynch: Lena Watson als androides Mädchen in "The Trouble With Being Born".

Foto: Stadtkino

Als "uncanny valley" bezeichnet man jenes Phänomen, das uns menschenähnliche Roboter unheimlicher erscheinen lässt als solche, die uns weniger gleichen. Die Filmemacherin Sandra Wollner macht sich dieses Prinzip in The Trouble With Being Born zunutze, kehrt die Perspektive jedoch zu einer Art "Anti-Pinocchio" um. Wir befinden uns im Kopf eines jungen Mädchens, das mit seinem Vater einen Bungalow auf dem Land bewohnt. Es scheint seine Tochter zu sein. Schaut man genauer hin, erkennt man, wie künstlich ihr Gesicht wirkt, als würde eine Folie darüber liegen. Der kindliche Androide ist nur ein Ersatzobjekt.

Berlinale - Berlin International Film Festival

Die 38-jährige Steirerin hat sich mit ihrem Abschlussfilm auf der Filmhochschule Ludwigsburg praktisch über Nacht als neues großes Talent nicht nur des heimischen Kinos etabliert. 2020 wurde der Film auf der Berlinale prämiert, kurz darauf gewann er den Hauptpreis der Diagonale. The Trouble With Being Born ist ein Film, der Wahrnehmungsmuster unterläuft und bewusst Unbehagen bereitet: Die Intimität zwischen Vater und Tochter befremdet, nicht zuletzt, wenn sie sich halbnackt an ihn schmiegt oder er ihr die Zunge reinigt.

Sind wir Zeugen eines inzestuösen Verhältnisses? Gilt dieses Tabu für ein Roboterkind überhaupt? Und welcher Erinnerung folgen wir, wenn wir durch den "Bewusstseinsstrom" einer Festplatte navigieren?

Von einem künstlichen Wesen und einer realistischen Welt zu erzählen, die einander gegenseitig abstoßen, sei eine ihrer zentralen Ideen gewesen, erzählt Wollner im STANDARD-Gespräch. "Die fortgeschrittene Gestik des Androiden ist der eigentliche Science-Fiction-Aspekt daran, anderes ist weniger gut entwickelt. Er entlarvt sich selbst."

Regisseurin Sandra Wollner

Wollner erinnert den Betrachter mit subtilen Abweichungen daran, dass er keinen Menschen vor sich hat. Und sie fragt danach, welche Differenz den Menschen erst zu einem solchen macht. Das Inzestthema war deshalb unumgänglich: "Es verdeutlicht, dass wir es mit einem Objekt zu tun haben, dem es völlig egal ist, wofür es verwendet wird." Sie selbst habe zu Sexrobotern keine abschließende Position: "Ich finde die Frage interessant, was wir als Gesellschaft zulassen wollen und was nicht. Man könnte ja sagen, das sind einfach nur Objekte."

Worauf begründet sich Wollners Interesse an Erinnerungen, Tabus und Medienrealitäten? Eine Antwort darauf findet man in ihrem Werdegang. Nach der Matura hat sie schon einmal die Aufnahme in eine Filmhochschule versucht, was damals nicht klappte: Erste Praxis sammelte sie dann als Nachrichten-Cutterin und im Werbefach. Dort lernte sie das Handwerk, zugleich nährte sich ihre Skepsis gegenüber Medien – etwa, als sie einen Iran-Beitrag schneiden musste, ohne die Sprache des Sprechers zu verstehen.

Durchkreuzte Fiktionen

"Das hat mich dann dazu bewogen, Dokumentarfilm zu studieren. Da tauchte die alte Frage auf, wie viel daran Inszenierung ist", erzählt Wollner. Sie drehte einen Film über ein Kind und dessen imaginären Freund, das Verhältnis von Fiktion und Realität geriet zum Problem. Einen echten Menschen ins eigene Ideengerüst zu pressen erschien ihr fragwürdig – wie ein "Menschenfresser". "Deshalb ging ich mit dem nächsten Film, Das unmögliche Bild, gleich in ein Spielfilmsetting – da kann man auch nach echten Blicken suchen. Das war wie ein Befreiungsschlag." Das unmögliche Bild, der eine versteckte Geschichte über Engelmacherinnen wie aus einem Fotoalbum einer österreichischen Familie der 1950er-Jahre herausschält, gewann den Preis der deutschen Filmkritik.

Bebildert jener Film Erinnerungen, die sich erst vervollständigen, gleicht The Trouble With Being Born mehr einer Kreisbewegung durch ein beschädigtes Programm. Der Androide durchwandert unterschiedliche "geschlechtliche" Identitäten – im zweiten Teil des Films wird er zum Buben an der Seite von Ingrid Burghard, die eine einsame Frau im Gemeindebau spielt.

Genderwechsel

"Das war wichtig, um die arbiträren Schubladen zu verdeutlichen, die uns als Menschen beschreiben", sagt Wollner dazu. "Ohne diesen Genderwechsel wäre es die Geschichte eine Frau geworden, und die wäre untrennbar mit ihrer Leidensreise verbunden geblieben. Ich hätte nicht so deutlich zeigen können, dass es um ein Objekt geht."

Die Idee eines unbeeinträchtigten Blicks auf die Welt, losgelöst von subjektiven Kategorien, stand ganz am Anfang des Films, noch bevor der Androide ins Spiel kam. Und diese Idee hat wiederum viel mit Wollner selbst zu tun, verweist auf ihre ersten Experimente mit der Videokamera – ihre Suche nach einem Verhältnis zur Welt. Man kann getrost sagen, dass diese Filmemacherin auf etwas bisher Ungesehenes hinauswill. "Unser Körper kann sich erinnern, das ist etwas, was diesem Wesen fehlt." Innen und außen, sagt Wollner über ihren Film, sei hier dasselbe. (Domink Kamalzadeh, 19.6.2021)