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Der Erfolg hat Gesicht

Foto: REUTERS/ DJURICA

Am Montag wird Österreich, dann schon wieder mit Marko Arnautović, die Entscheidungsprüfung zu absolvieren haben. Gegen die Ukraine – 2:3 gegen die Niederlande, 2:0 gegen Nordmazedonien – geht es nämlich schon um den Verbleib im Turnier. Ein Remis könnte genügen. "Aber", gibt der ukrainische Trainer zu bedenken, "es ist ziemlich schwierig, gegen uns zu spielen."

Dieser Trainer heißt Andrij Schewtschenko, ist 44 Jahre alt und in ganz Fußballeuropa bekannt als einer der Allzeitbesten, was er im Sturm bei Dynamo Kiew, beim AC Milan und beim FC Chelsea unter Beweis gestellt hat. Seit dem Sommer 2016 – die Ukraine hatte gerade die EM in Frankreich verlassen wie Österreich: sang- und klanglos – coacht er das ukrainische Team. Und hat aus einer etwas behäbig gewordenen, stargeplagten Truppe eine schlagkräftige, flexibel agierende, nicht nur bein-, sondern auch gedankenschnelle Mannschaft geformt.

Gelbes Italien?

Dass die Ukrainer in manchen Spielzügen an die Italiener gemahnen, ist kein Zufall. Schewtschenko hat ein Trainerteam aus Italien um sich: Mauro Tassotti, zuletzt Co-Trainer bei Milan, und Andrea Maldera, der Videoanalyst. Und Schewtschenko ist ja auch ein halber Italiener. Zwischen 1999 und 2006 erzielte er für Milan in 323 Spielen 176 Tore.

Den Fußball erlernt hat der Sohn eines sowjetischen Berufssoldaten freilich bei Walerij Lobanowskyj, der aus Dynamo Kiew eine europäische Spitzenmannschaft gemacht hat und nebenbei auch das Team der UdSSR.

Der alte General

Allgemein bekannt war Lobanowskyj als "der General". Dem Zeitgeist und dem sozialistischen Ethos folgend, hielt er auf strenge Disziplin. "Ich bin durch den Dreck gewatet. Sein Training war ein Test der Stärke, bis hin zur völligen Erschöpfung." Italien war da vergleichsweise erholsam. Da wurde 80 Minuten trainiert. Der General befahl dreistündige Trainings, "und ich war sein loyaler Soldat auf dem Spielfeld", sagt Schewtschenko.

Der Mailänder Trainingsrhythmus fruchtete. Mit Milan gewann Schewtschenko 2003 die Champions League, 2004 den Ballon d’Or für Europas besten Fußballer. Bei Chelsea, wo er zwischen 2006 und 2009 spielte, taugte es ihm nicht ganz so. Ab 2009 ließ er bei Kiew seine Karriere ausklingen. Es gab ja noch dieses eine große Ziel: die gemeinsam mit Polen veranstaltete Heim-EM. Beim 2:1 gegen Schweden erzielte er beide Tore. Das Team unter Oleg Blochin musste, wäre es nicht sowieso daheim gewesen, dennoch schon nach der Vorrunde heimfahren.

Armanis Freund

Schewtschenkos Daheim war da längst auch schon Italien. Giorgio Armani war Freund und Geschäftspartner, 2004 heiratete er das US-Topmodel Kristen Pazik. Die Schewtschenkos bekamen vier Söhne, Silvio Berlusconi, Milans Chef, war Taufpate des ersten.

Nebsther engagierte sich Schewtschenko für die sozialdemokratische Partei "Ukraine – Vorwärts!". Er kandidiert, der Sprung ins Parlament gelingt ihm nicht.

2016 wird er Co-Trainer von Michail Fomenko, von dem er nach dem EM-Aus übernimmt. Für die WM 2018 in Russland konnte er sich – so wie Italien übrigens – nicht qualifizieren. Das hätte ihn beinahe den Job gekostet. Aber er bekam dann doch die Zeit, das Team zu verjüngen, unabhängiger vom Getue weniger Starkicker, kompakter also, flexibler gewissermaßen zu machen.

Fußball und Tragödie

Dass dieser Andrij Schewtschenko überhaupt mit dem Kicken begonnen hat, hängt mit Tschernobyl zusammen. Als im April 1986 der Reaktor explodierte, "wurden alle weggebracht, aus der ganzen UdSSR kamen Busse und nahmen Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren mit. Ich war 1500 Kilometer von zu Hause weg, kam mir vor wie in einem Film." Neun war er. Die Evakuierung am Asowschen Meer verbringt er, notgedrungen, mit Fußball.

Das Ende der Sowjetunion erlebte er auch als Tragödie. "Die Menschen waren verzweifelt. Drogen, Alkohol und Waffen haben meine Freunde getötet. Von meinen Kindheitsfreunden hat nur einer überlebt." Die Tragödie ist noch nicht zu Ende. Der Kalte Krieg ist seit der Annexion der Krim durch Russland immer wieder heiß aufgeflammt. (wei, 19.6.2021)