Christina Jilek hat gemeinsam mit anderen Juristinnen und Juristen Vorschläge erarbeitet, die im Antikorruptionsvolksbegehren präsentiert werden.

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Als Staatsanwältin hat Christina Jilek brisante Fälle geleitet: etwa die Ibiza-Ermittlungen rund um parteinahe Vereine oder die ÖVP-Schredderaffäre. Nach "Störfeuern" durch vorgesetzte Behörden wechselte Jilek in den Richterberuf. Jetzt will sie auf anderem Weg gegen Korruption kämpfen: als Mitinitiatorin des Volksbegehrens gegen Korruption.

STANDARD: Wie verbreitet ist Alltagskorruption in Österreich?

Jilek: Mich stört schon der Begriff: als ob Korruption etwas Alltägliches oder Normales wäre. Das Wort passt zu der Verniedlichungstendenz, die wir oft haben. Etwa "Freunderlwirtschaft": Man verharmlost Dinge, die nicht harmlos sind.

STANDARD: Wo beginnt Korruption?

Jilek: Dort, wo man im Kontext von Einfluss und Macht meint: Du schuldest mir etwas. "Hilfst du mir, helfe ich dir": Wenn man dieses Gefühl hat, wird es heikel.

STANDARD: Es geht nicht nur um Bestechung mit Geld?

Jilek: Geld ist nur ein Aspekt, wie Menschen korrumpierbar sind. Es gibt andere Aspekte, die viel weniger greifbar und dadurch auch sehr gefährlich sind. Zum Beispiel: Ich lade jemandem zu wichtigen Terminen ein, "pinsle ihm den Bauch".

STANDARD: Muss man sich selbst ständig hinterfragen, um Korruption zu verhindern?

Jilek: Genau das ist der Punkt und eine Kernforderung des Volksbegehrens: Transparenz. Als Beamter muss man sich fragen: Könnte ich das meinen Kollegen erzählen? Wäre es schlimm, wenn das in der Zeitung steht? Kann ich es im Akt festhalten? Diese Fragen muss man sich stellen, bevor man handelt.

STANDARD: Eine kleine "Sünde" ab und zu ist nicht erlaubt?

Jilek: Korruption beginnt schleichend, und man rutscht da hinein. Ganz wichtig ist es, beim ersten Mal zu sagen: Ich mache da nicht mit. Wenn man einmal schweigt, ist man im System drinnen und kann nicht mehr dagegen auftreten – und man ist auch erpressbar. Deshalb ist es wichtig, dass man sagt: "Stopp, ich mache da nicht mit."

STANDARD: Reichen die Korruptionsgesetze? In der Vergangenheit blieb – Stichwort Ibiza – einiges straffrei.

Jilek: Das Volksbegehren schlägt zum Beispiel vor, dass der Kauf von Mandaten – also Parteispende gegen Einzug in ein Gremium – und die Bestechung von Kandidaten, die wohl in ein Amt kommen, strafbar werden. Wichtig ist auch die Anpassung des Paragrafen 35c StAG, also der Prüfung, ob überhaupt Ermittlungen eingeleitet werden. Da gibt es weder Transparenz noch Rechtsschutz, und man kann in einem frühen Verfahrensstadium ohne richterliche Kontrolle viel machen.

STANDARD: Also viel "derschlagen"?

Jilek: Das haben Sie gesagt.

STANDARD: Wie kann man Kritik an der WKStA üben, ohne dass das ein Angriff auf die Justiz ist?

Jilek: Natürlich ist Kritik erlaubt, der Beschuldigte darf sogar gewisse Akten veröffentlichen. Aber es ist auch eine Frage der Möglichkeiten: Nicht jeder hat eine breite Öffentlichkeit zur Verfügung …

STANDARD: ... aber es steht auch nicht das Verfahren jedes Beschuldigten so in der Öffentlichkeit wie das eines hochrangigen Politikers?

Jilek: Es gibt viele Beschuldigte, die persönlich oder mit ihren Taten in der Öffentlichkeit stehen und nicht die Möglichkeit haben, sich breitenwirksam zu verteidigen. Es ist die Frage, in welcher Rolle man Kritik übt: ob als Beschuldigter oder als Entscheidungsträger. Je nachdem wird die Kritik anders wahrgenommen.

STANDARD: Sind hier rote Linien überschritten worden?

Jilek: Es wird gefährlich, wenn es in Richtung Einflussnahme oder Einschüchterung geht. Und: Die Kritik muss faktenbasiert sein. Es ist schwierig, wenn öffentlich etwas geäußert wird, aber nicht der Weg über gerichtliche Einsprüche und Beschwerden gewählt wird, wo man Dinge belegen muss. Werden einzelne Staatsanwälte persönlich in Kritik gezogen, muss man das staatsanwaltschaftliche System erklären: Entscheidungen werden innerhalb der Staatsanwaltschaft durch mehrere Augen abgesichert.

STANDARD: Erklärt die Justiz genug?

Jilek: Die Medienarbeit der Justiz muss angepasst werden. Aber einzelne Staatsanwälte sollen nicht in die öffentliche Diskussion hineingezogen werden. Sie werden auf eine Bühne gezerrt, für die sie keinen Text haben – und auch keinen haben sollen.

STANDARD: Kann es sein, dass Staatsanwälte eher auf eine Anklage als auf eine Einstellung schielen?

Jilek: Ich glaube, da wäre einiges an Aufklärung zu leisten: In vielen Köpfen hat sich das Bild des Staatsanwaltes aus dem US-Fernsehen verfestig. Der Staatsanwalt, der unbedingt verurteilen will. Hierzulande müssen Staatsanwälte Sachverhalte objektiv aufklären und das tun sie auch. Bei diesen Fragen könnte man schon in der Schule ansetzen.

STANDARD: Sie haben bei der WKStA aufgehört. War der Druck zu groß?

Jilek: Es ist demokratiepolitisch gefährlich, wenn man Symptome von Systemfehlern vor sich hat und diese auf das Persönliche herunterbricht, zum Beispiel: Die hält das nicht aus, der ist halt emotional. Das erstickt die Diskussion über die wahren systemischen Probleme.

STANDARD: Oft geht es medial um "Konflikte" innerhalb der Justiz.

Jilek: Zu sagen, jemand "streitet", ist natürlich am einfachsten. Dann braucht man sich nicht mit dem wahren Problem auseinanderzusetzen, nämlich dass wir am System arbeiten müssen. Es geht darum, ob man seine Arbeit so machen kann, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Wenn Anwürfe von außen auf taube Ohren stoßen; wenn egal ist, welcher Name am Aktendeckel steht, wenn justizintern alle an einem Strang ziehen und die rasche, umfassende und objektive Aufklärung als Ziel haben, dann funktioniert das. Aber wenn das System innen krankt, dann wird es schwierig.

STANDARD: Welche Reformpläne schlägt das Volksbegehren hier vor?

Jilek: Solange wir eine politische Weisungsspitze haben, werden wir über Einflussnahme diskutieren. Wenn man Staatsanwaltschaften mit Berichtspflichten und Berichtsaufträgen flutet, dann fehlt die Zeit zum Ermitteln. Kontrolle ist wichtig, aber transparent und unabhängig durch Gerichte.

STANDARD: Sie plädieren also für eine klare Entkopplung der Staatsanwaltschaften von der Politik?

Jilek: Das ist eine zentrale Forderung im Volksbegehren. Ganz wichtig wäre das auch im Bereich der Ernennung: Wer wird Richter, wer wird Staatsanwalt? Da sollte kein Politiker entscheiden.

STANDARD: Teil der Kontrolle ist ja auch, zum Beispiel zu prüfen, welche Chats in einen Akt aufgenommen oder dem U-Ausschuss vorgelegt wurden. Nun sind Chats sicher ein wichtiges Beweismittel, aber im Vergleich zum Abhören von Telefongesprächen sind die rechtlichen Hürden für die Handy-Sicherstellung doch gering. Wie sehen Sie das?

Jilek: Man muss hier zwischen der Sicherstellung und der Veröffentlichung unterscheiden. Wenn ich nicht sicherstellen darf, kann ich bestimmte Bereiche nicht aufklären. Die öffentliche Diskussion nimmt ihren Ausgang bei Korruptionsdelikten, aber die Masse der Auswertung passiert im Bereich Suchtgift oder etwa bei Einbrüchen. Wenn man sagt, man will das nicht, dann muss das für alle Bereiche gelten.

STANDARD: Sinngemäß kann man ja auch sagen: Man kann mit geringen Hürden observieren, abhören und mehr aufklären?

Jilek: Aber es gibt ja Hürden: Eine Hausdurchsuchung bewilligt ja ein unabhängiges Gericht, man kann Beschwerde einlegen. Man braucht einen konkreten Verdacht, man braucht eine Verhältnismäßigkeit. Man kann über alles diskutieren, muss sich aber der Tragweite bewusst sein. Die Frage der Veröffentlichung ist hingegen eine, bei der man die Rolle der Medien stärken muss, die sich wiederum ihrer Verantwortung bewusst sein müssen.

STANDARD: Die ÖVP will, wie Staatsanwälte-Vertreterin Koller, dass U-Ausschüsse nicht parallel zu Ermittlungen stattfinden sollen.

Jilek: Ich sehe das anders. Staatsgewalten müssen sich auf Augenhöhe begegnen. Das gilt auch für deren Kontrollinstrumente. Komplexe Ermittlungen kann man nicht von heute auf morgen erledigen. Wenn der U-Ausschuss diese abwarten müsste, wäre er zahnlos.

STANDARD: Sehen Sie in einzelnen Punkten Verbesserungsbedarf beim Umgang mit U-Ausschüssen?

Jilek: Es gibt schon Möglichkeiten, nachzuschärfen. Wenn in einem staatsanwaltschaftlichen Akt Teile von der Akteneinsicht ausgenommen sind, wäre es hilfreich, wenn man deren Existenz gar nicht melden müsste. Schon allein durch diese Nachricht werden Ermittlungen gefährdet – und man kann diese Aktenteile ja dann nachliefern. Im Volksbegehren finden Sie auch noch weitere Vorschläge zu U-Ausschüssen, etwa zur Notwendigkeit von Befangenheitsregelungen.

STANDARD: Wie wichtig sind U-Ausschüsse, um die politische Einflussnahme auf Ermittlungen nahezu in Echtzeit kontrollieren zu können?

Jilek: Der Inhalt der Ermittlungen wird nur von den Gerichten kontrolliert, das sei vorangestellt. Die Klärung politischer Verantwortung – und damit auch der Einflussnahme – ist hingegen genau Kernaufgabe des Parlaments.

STANDARD: Es stand im Raum, dass Staatsanwaltschaften künftig keine Razzien bei Behörden durchführen dürfen, sondern auf Amtshilfe setzen müssen. Würde das Ermittlungen lähmen?

Jilek: Eine Forderung im Volksbegehren ist klar, dass das nicht kommt. Als ich von dem geplanten "Durchsuchungsverbot" erfahren habe, war für mich klar: Da muss man etwas tun, da geht etwas in eine falsche Richtung. Im Begutachtungsverfahren ist das Vorhaben dann fundiert und breit abgelehnt worden. Korruptionsermittlung wäre dadurch in weiten Bereichen unmöglich geworden. Es hätte auch eine Zwei-Klassen-Justiz gedroht: in großen Unternehmen etwa dürfte man ja trotz Betriebsgeheimnissen weiterhin durchsuchen, in Behörden wegen des Amtsgeheimnisses nicht.

STANDARD: Die Amtsleiter könnten mit der rechtlichen Situation auch überfordert sein?

Jilek: Die Ansprechpartner bei einer Amtshilfe sind keine Staatsanwälte oder Richter. Woher soll etwa ein Bürgermeister wissen, was Ermittler konkret brauchen? Außerdem weiß man in diesem Ermittlungsstadium häufig noch nicht, wer in einer Behörde überhaupt betroffen ist. Oft wird gegen unbekannte Täter ermittelt. Dann wird die Amtshilfe vielleicht von jemandem gefordert, der involviert war.

STANDARD: Kanzler Sebastian Kurz und Fraktionsführer Andreas Hanger unterstützen das Volksbegehren. Was würden Sie den beiden sagen?

Jilek: Wir freuen uns über jede Unterstützung. Bei Personen, die in der Position sind, etwas zu ändern, wird man das aber an den Taten messen müssen und nicht an der Unterschrift. (Fabian Schmid, 18.6.2021)