Grigory Sokolov vor einigen Jahren im Schloss Esterházy in Eisenstadt.

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Wien – Grigory Sokolov zählt zu den größten Pianisten der Gegenwart – und zu den eigenwilligsten. Er gibt ausschließlich Solokonzerte, geht seit 25 Jahren nicht mehr ins Aufnahmestudio, kann Langstreckenflüge nicht leiden und interessiert sich weder für Medien noch für Marketing. Seine Auftritte sind legendär: Erst wenn der Saal abgedunkelt ist, tritt er eiligen Schrittes auf die Bühne zum Klavier, verbeugt sich kurz und vergräbt seine Hände sogleich in die Tasten. Mit im Gepäck hat er dieses Mal im Konzerthaus vier Polonaisen von Frédéric Chopin sowie die Préludes op. 23 von Sergei Rachmaninow.

Chopin begann schon im Alter von acht Jahren Polonaisen zu schreiben, die vier vorliegenden entstanden im Pariser Exil als Hommage an seine Heimat, deren Verlust er nie überwinden konnte. Sie vereinen Wehmut und heroische Wucht, Intimität und Virtuosität. Da wären etwa die geheimnisvollen Klangfarben in den ersten beiden Polonaisen op. 26, die Sokolov durch den gezielten Einsatz des linken Pedals herauskitzelt. Oder die majestätische Wucht in der fis-Moll-Polonaise, wenn es in der linken Hand erst zu brodeln beginnt und die Musik schließlich in einem pianistischen Vulkanausbruch gipfelt.

Geniale Ausgestaltung

Mit einer Liebeserklärung an seinen Landsmann Sergei Rachmaninow begann der zweite Teil des Konzertabends. Aus dessen spätromantischem Opus holte Sokolov alles heraus, was das Klavier zu bieten hat – von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.

Genial auch, wie delikat er die Rubati einsetzt und die klanglichen Schattierungen ausgestaltet oder im c-Moll-Prélude die dahinhuschenden Sechzehntelketten mit einem donnernden Bass unterlegt. Hat sich Sokolov im dunklen Saal erst einmal warmgespielt, darf man sich am Ende auf eine Reihe Zugaben freuen, die den Abend erst vervollkommnen. Diese Mal Stücke von Brahms, Chopin, Skrjabin und Bach. (Miriam Damev, 19.6.2021)