Manuel Neuer radelt in Richtung Titelverteidiger Portugal und Cristiano Ronaldo.

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Es ist das letzte große Turnier für Joachim Löw als deutscher Teamchef. Und er hat sich seine Abschiedstour wohl etwas anders vorgestellt. Jetzt muss er zu seinem Leidwesen tun, was er schon vor drei Jahren bei der WM in Russland zu tun gezwungen war: abwiegeln. "Es ist nichts passiert. Wir können noch alles geradebiegen", sagt er. Immerhin war es der regierende Weltmeister, gegen den man zum Auftakt 0:1 verloren hatte. Andererseits: Seit Russland wissen nun sogar Deutsche, was Nerven sind. Muffensausen, so wird dieses Gefühl von ihnen umschrieben.

Denn jetzt geht es gegen den regierenden Europameister, der ein 3:0 über Ungarn zu Buche stehen hat und das entsprechend gegenteilige Gefühl hat. Portugal, das hat man auch gesehen, ist nicht mehr nur um den großen einen gruppiert (abgesichert durch eiserne Füße wie Pepe). Mats Hummels – der Torschütze des deutschen Auftakt-0:1 – empfiehlt gar ein gesundes Muffensausen. "Wir dürfen uns nicht nur auf Ronaldo konzentrieren. Portugal hat eine große Fülle an herausragenden Spielern."

Der Beginn

Man sagt, das Abwehren beginne im Angriff. Umgekehrt fängt das Angreifen ganz hinten an, bei Hummels gewissermaßen. Verantwortlich dafür, dass es funktioniert, ist das Mittelfeld. Kai Havertz, beschäftigt beim FC Chelsea, ist ein sehr offensiver Midfielder. Und er beobachtete gegen Frankreich selbstkritisch: "Uns hat ein bisschen der Mut gefehlt im letzten Drittel. Wir haben den Pass nach hinten gesucht, anstatt ins Eins-gegen-eins zu gehen."

Joachim Löw fand, so wird es aus dem Trainingsgelände in Herzogenaurach kolportiert, die richtigen Worte. Die des Andreas Hofer: "Auf geht’s, Männer!" So sagt man im Schwarzwald zu: "Mander, s’isch Zeit!" In Herzogenaurach – das wird der DFB-Historiker den Mandern erzählt haben – begann übrigens der Aufstieg Deutschlands zur ballesterischen Großmacht. Dort ist nämlich Adidas daheim, jene Firma, die die Schraubstoppeln erfunden hat, mit denen Deutschland 1954 Weltmeister wurde.

Jenseits von Ronaldo

Die Portugiesen müssen sich, erzählt jedenfalls Nuno Gomes, einst Kapitän der Seleção, nicht besonders Mut zusprechen. Vor dem strotzen sie geradezu. Die Ära Ronaldo neigt sich dem Ende zu. Sehenswert, wie die Ungarn-Partie gezeigt hat. Gomes ist nicht bange, es gebe genug Nachfolger. "Ruben Dias zum Beispiel. Er ist eine geborene Führungspersönlichkeit. Das hat ihm dabei geholfen, so schnell und einfach bei Manchester City Fuß zu fassen." Ein Verteidiger als Kapitän? Doch. Das sei stets die Schwachstelle gewesen. "Die Spieler aus den Jugendmannschaften von Benfica, Sporting, Porto und sogar Braga sind es gewöhnt, Angriffsfußball zu spielen, einfach aus dem Grund, dass sie immer im besten Team ihrer Liga spielen und die Gegner zu schwach sind, sie zum Verteidigen zu zwingen."

Vorne aber müsse sich eh niemand Sorgen machen. "Mit Spielern wie Ronaldo, João Felix, Bernardo Silva und Diogo Jota verfügt die Seleção über ein Überangebot an pfeilschnellen, kreativen Angreifern, die sowohl Torchancen kreieren als auch selbst verwerten können." Pfeilschnell, kreativ, angriffig: Es gibt Leute, die sich darob doch Sorgen machen.

Ungarn vs. Frankreich

Das französische Sturm-Triumvirat aus Kylian Mbappé, Karim Benzema und Antoine Griezmann steht am Samstag schon um 15 Uhr gegen Ungarn im Mittelpunkt. Beim 1:0 gegen Deutschland trafen zwei von ihnen, doch die Tore von Mbappé und Benzema zählten nicht. Schön waren sie aber herausgespielt, besonders Mbappé zeigte, was von ihm zu erwarten ist. In Budapest böte sich die perfekte Bühne für die erste große Sternstunde des Wunderangriffs. Die Puskás-Arena wird wieder kochen, so viel ist sicher. Gegen Portugal zum Auftakt waren bereits 55.662 Zuschauer gekommen. Es sind weiterhin 100 Prozent Auslastung erlaubt, komplett ausgeschöpft wurde die Kapazität beim 0:3 nicht. Frankreichs Lucas Hernández freut sich: "Ich liebe es, vor einem feindselig gestimmten Publikum zu spielen." (Wolfgang Weisgram, red, 19.6.2021)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen

Gruppe F, 2. Runde:

  • Portugal – Deutschland (München, Fußball Arena, 18.00 Uhr/live ORF 1 und oe24.TV, SR Taylor/ENG)

Portugal: 1 Rui Patricio – 2 Nelson Semedo, 4 Ruben Dias, 3 Pepe, 5 Guerreiro – 13 Danilo, 11 Bruno Fernandes, 14 William Carvalho – 10 Bernardo Silva, 7 Cristiano Ronaldo, 21 Diogo Jota

Ersatz: 12 Lopes, 22 Rui Silva – 6 Fonte, 20 Dalot, 25 Nuno Mendes, 8 Joao Moutinho, 16 Sanches, 17 Guedes, 18 Neves, 19 Goncalves, 24 Olivera, 26 Palhinha, 9 Andre Silva, 15 Rafa Silva, 23 Joao Felix

Deutschland: 1 Neuer – 4 Ginter, 5 Hummels, 2 Rüdiger – 6 Kimmich, 8 Kroos, 21 Gündogan, 20 Gosens – 7 Havertz, 10 Gnabry, 25 Müller

Ersatz: 12 Leno, 22 Trapp – 3 Halstenberg, 15 Süle, 18 Goretzka, 23 Can, 24 Koch, 26 Günter, 14 Musiala, 17 Neuhaus, 19 Sane, 9 Volland, 11 Werner

Es fehlen: 13 Hofmann (Knie), 16 Klostermann (Muskelfaserriss)

  • Ungarn – Frankreich (Budapest, Puskas Arena, 15.00 Uhr/live ORF 1, SR Oliver/ENG)

Ungarn: 1 Gulacsi – 14 Lovrencsics, 21 Botka, 6 Orban, 4 At. Szalai, 5 Fiola – 15 Kleinheisler, 8 Nagy, 13 Schäfer – 20 Sallai, 9 Ad. Szalai

Ersatz: 12 Dibusz, 22 Bogdan – 2 Lang, 3 Kecskes, 7 Nego, 26 Bolla, 10 Cseri, 16 Gazdag, 17. R. Varga, 18 Siger, 19 K. Varga, 11 Holender, 23 Nikolic, 24 Schön, 25 Hahn

Frankreich: 1 Lloris – 2 Pavard, 4 Varane, 3 Kimpembe, 21 Hernandez – 6 Pogba, 13 Kante, 14 Rabiot – 7 Griezmann, 19 Benzema, 10 Mbappe

Ersatz: 16 Mandanda, 23 Maignan – 5 Lenglet, 15 Zouma, 18 Digne, 24 Dubois, 25 Kounde, 8 Lemar, 12 Tolisso, 17 Sissoko, 9 Giroud, 11 Dembele, 22 Ben Yeddar, 26 Thuram

Es fehlt: 20 Coman (Geburt des Kindes)