Vizekanzler Werner Kogler (li.) und Kanzler Sebastian Kurz haben es derzeit nicht leicht – auch miteinander.

Foto: APA / Robert Jäger

Die Kurz-Anklage

Ermittlungen gegen den Kanzler belasten Türkis-Grün massiv

Sie baumelt wie ein Damoklesschwert über der türkis-grünen Regierung: eine mögliche Anklage von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Derzeit wird gegen den ÖVP-Chef wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss ermittelt. Keiner weiß, wie die Sache ausgehen wird. Und das macht alle nervös – die ÖVP und die Grünen. In beiden Parteien werden derzeit deshalb Planspiele simuliert, was im Fall der Fälle zu tun wäre.

Fest steht: Sollte gegen Kurz tatsächlich Anklage erhoben werden, wird er wohl erst einmal im Amt bleiben wollen. Davon geht man auch bei den Grünen aus. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich andeutungsweise zum Thema geäußert: Auch für Politiker gelte die Unschuldsvermutung, erklärte er – bis zu einer Verurteilung.

Die Grünen hätten dennoch wohl schon davor ein Problem. Ein Teil der Partei möchte keinesfalls mit einem angeklagten Kanzler koalieren – auch im Klub soll es Abgeordnete geben, die in diesem Fall einen Ausstieg aus der Koalition fordern wollen. Bei den Grünen weiß man aber auch: Zu gewinnen ist mit einem vorzeitigen Koalitionsende derzeit nicht viel. Der grüne Worst Case: Nach dem Koalitionsausstieg wird Kurz freigesprochen, er ist rehabilitiert und kann mit heldenhafter Auferstehungserzählung in die Wahl ziehen; die Grünen stehen als die Blöden da.

In erster Linie sorgt die Causa aber in der ÖVP für Nervosität. Erstmals soll sogar der Fall durchgedacht werden, was die Partei tun sollte, müsste Kurz zurücktreten – und sei es vorübergehend. Als mögliche Einspringer werden derzeit vor allem drei Namen genannt: die ÖVP-Landeshauptmänner Wilfried Haslauer und Markus Wallner sowie Tourismusministerin Elisabeth Köstinger. Kurz gilt in seiner Partei nicht mehr als unantastbar. Gerade in den schwarzen Ländern ist der Unmut über die Ermittlungen und die türkisen Chats groß.

Schiefe Stimmungslage

Gesellschaftspolitische Differenzen führen zu atmosphärischen Störungen

Die ÖVP muss nicht bangen, dass die Grünen abspringen. Das werden sie in absehbarer Zeit nicht tun. Zu wichtig ist das Projekt der Regierungsbeteiligung und zu verlockend die Möglichkeit, selbst etwas durchsetzen können, wenn auch in einem eng gesteckten Rahmen. Die Grünen müssen ihrerseits nicht bangen, von der ÖVP vor die Koalitionstür gesetzt zu werden. Die ÖVP hat derzeit keine wirklichen Alternativen.

Und dennoch schwebt das Gespenst des Koalitionsbruchs über dieser Regierung. Zu groß sind die Unterschiede in der inhaltlichen Ausrichtung beider Parteien, als dass man sich mit Corona-Maßnahmen darüber hinwegturnen könnte. Aus den unterschiedlichen Zugängen in Sachfragen haben sich längst schwere atmosphärische Störungen entwickelt.

Jüngstes Beispiel ist die Debatte über eine Lockerung des Staatsbürgerschaftsrechts, die die SPÖ losgetreten hat. Der ÖVP kam dieses Thema gerade recht, um von der Bredouille, in der sie dank staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und veröffentlichter Chatnachrichten steckt, abzulenken. Nicht dass die Grünen nicht gewusst hätten, mit wem sie da koalieren, aber die Heftigkeit und Schärfe, mit der die ÖVP die Vorschläge der SPÖ zurückwies, haben viele Grüne doch überrascht und aufgeschreckt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler müssen die Koalition zunehmend nach innen verteidigen und rechtfertigen.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Dass Menschen mit Migrationshintergrund pauschal herabgewürdigt werden, kam bei den Grünen, die auch dank ihrer Zusammensetzung ein anderes Selbstverständnis haben, ganz schlecht an und verfestigte die Vorstellung, dass man sich hier mit dem politischen Feind ins Bett gelegt hatte.

Es sind die Fragen mit gesellschaftspolitischem und menschenrechtlichem Hintergrund, die für emotionale Erschütterungen sorgen. Die Abschiebung von Kindern, das kategorische Nein der ÖVP zur Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Elendslagern oder ganz aktuell die Debatte über Asylzentren außerhalb der EU, das erschwert auch die Kommunikation empfindlich und damit die Zusammenarbeit von ÖVP und Grünen. Das setzt wiederum die Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler unter Druck, die die Koalition zunehmend nach innen verteidigen und rechtfertigen müssen. Dass man einander mag, behauptet ohnedies längst keiner mehr.

Klimaschutz

Noch viele Baustellen – allen voran die geplante Ökosteuerreform

Beim Klimaschutz gibt es zwischen ÖVP und Grünen nach wie vor zahlreiche Differenzen. Zwar haben sich die Parteien auf ein umfassendes Programm im Koalitionsabkommen geeinigt, dessen Umsetzung schreitet aber nur langsam voran. Die im ersten Regierungsjahr geplanten Schritte der Ökosteuerreform wurden nur zum Teil umgesetzt.

Für die Türkisen war die Ökologisierung der Normverbrauchsabgabe ein schwerwiegendes Zugeständnis. Bei der Ausgestaltung des anstehenden Großprojekts – der CO2-Abgabe – gibt es noch keine Einigkeit. Mittlerweile betonen jedoch beide Seiten, dass diese Abgabe auf die eine oder andere Art kommen wird.

In vielen Bereichen dürfte der Druck vonseiten der ÖVP-Wirtschaftsvertreter groß sein: So ist das von den Grünen angekündigte Plastikpfand nach wie vor nicht umgesetzt. Vom ÖVP-Wirtschaftsflügel kam auch herbe Kritik am Entwurf zum Klimaschutzgesetz. Ein darin vorgesehener Notfallsmechanismus soll zu einer Anhebung der Abgaben auf fossile Energieträger führen.

Die Wirtschaftskammerspitze sprach von "ideologiegetriebenen Bestrafungsfantasien". Nachdem eine CO2-Abgabe ähnliche Effekte mit sich bringen würde, könnten noch schwierige Diskussion bevorstehen. Spannend wird, auf welche Art der Rückverteilung – Stichwort Ökobonus – sich die Koalitionspartner einigen können.

Neben der CO2-Abgabe steht auch ein weiteres großes Thema an: Wie soll der Verkehrssektor, der in Österreichs Klimabilanz besonders schlecht abschneidet, ökologisiert werden? Die Grünen wollen, dass 2040 keine Autos mit Verbrennungsmotoren auf Österreichs Straßen unterwegs sind. Das würde allerdings bedeuten, dass ein Verbot von neu zugelassenen Diesel- und Benzinautos schon wesentlich früher in Kraft treten müsste. Eine Maßnahme, die in der Kernwählerschaft der ÖVP auf wenig Zustimmung stoßen könnte. (Nora Laufer, Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 19.6.2021)