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Ein Flüchtlingslager in Athen. Griechenland will, dass die Türkei mehr Asylwerber zurücknimmt.

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Migrationsminister Notis Mitarakis will mehr rückführen.

Foto: John Thys, Pool via AP

In den vergangenen Wochen und Monaten verließen tausende anerkannte Flüchtlinge die Lager auf den Ostägäischen Inseln Richtung Athen. Denn Griechenland nutzte die Zeit der Pandemie, um die Verfahren zu beschleunigen. Die Regierung fährt gleichzeitig einen harten Kurs, um Ankünfte zu verhindern.

Mit einem Ministerialbeschluss vom 7. Juni erklärte man nun die Türkei zum sicheren Drittstaat für Bürger aus Afghanistan, Somalia, Bangladesch, Pakistan und Syrien. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis betont, dass es trotzdem eine Einzelfallprüfung für alle geben werde. Doch die Angehörigen dieser Staaten seien in der Türkei nicht mit einem strukturellen Problem konfrontiert und dort keinem Risiko ausgesetzt.

STANDARD: Sollen Asylwerber aus diesen Staaten in die Türkei zurückgeschickt werden?

Notis Mitarakis: Die Türkei sollte diese Menschen akzeptieren, wenn sie zurückgeführt werden. Sie können meinen türkischen Amtskollegen auch fragen, ob er die gemeinsame Stellungnahme mit der EU von 2016 weiterhin unterstützt. Offiziell ist das Abkommen laut EU und laut Türkei ja noch immer am Leben.

Die Griechen bauen also Verhandlungsdruck nach allen Seiten auf. Mitarakis erinnert auch daran, dass die EU selbst die Türkei mit dem Abkommen 2016 als sicheren Drittstaat anerkannte. Eigentlich sollten laut dem Abkommen seither Syrer wieder in die Türkei zurückgeschickt werden – doch dieser Punkt wurde kaum umgesetzt. Es habe ein gewisses Ausmaß an Rückführungen bis zum Beginn 2020 gegeben, so Mitarakis, bis die Türkei die Annahme von Rückführungen einseitig gestoppt habe – zuerst wegen Covid und dann "aus nicht näher angegebenen Gründen".

Signal für Ausreisewillige

Seit Jänner bereits wartet Athen darauf, dass die Türkei 1450 Menschen zurücknimmt. Mit der neuen Strategie will man nun auch ein Signal an Ausreisewillige senden, damit sie sich gar nicht erst auf den Weg machen. Mitarakis denkt, dass es den Schmugglern in Zukunft weniger gelingen werde, die Leute zu überzeugen, ihnen die Ersparnisse ihres Lebens zu geben. Jene, denen kein internationaler Schutz zustehe, müssten jedenfalls in die Türkei oder auch freiwillig oder unfreiwillig in ihre Herkunftsländer zurückfahren.

Im Ministerium in Athen geht man jedenfalls davon aus, dass sich bald weniger als 7000 Asylwerber auf den Inseln befinden werden. Vor eineinhalb Jahren waren es noch 40.000 und die humanitären Umstände katastrophal. Doch auch die Unterbringungsmöglichkeiten in Athen sind äußerst begrenzt. Es gibt zu wenige Wohnungen und zu wenige Jobs. Bereits im Vorjahr landeten viele anerkannte Flüchtlinge auf der Straße, etwa auf dem Viktoria-Platz in Athen. Deshalb entschließen sich auch immer mehr anerkannte Flüchtlinge dazu, weiter nach Deutschland zu reisen. Mit einem Flüchtlingspass und einem billigen Charterflug ist das auch kein Problem.

Mitarakis: Ich muss daran erinnern, dass Griechenland vor einigen Jahren von Staaten wie Deutschland dazu aufgefordert wurde, die Sozialausgaben zu kürzen. Deshalb hat Griechenland nicht für alle Sozialwohnungen. Wenn man ein anerkannter Flüchtling ist oder aber ein obdachloser Grieche, dann gibt es keine kostenlosen Unterkünfte. Das ist eine Realität. Anerkannte Flüchtlinge können versuchen, einen Job zu bekommen, aber die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sie können auch um Sozialleistungen ansuchen, aber diese sind in Griechenland nur ein Teil von dem, was man in anderen EU-Staaten bekommt.

In Deutschland sind 17.000 anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland angekommen und stellten erneut einen Asylantrag. Athen sieht das als innerdeutsches Problem.

Mitarakis: Das ist nichts, wo wir uns einmischen. Wir haben damit nichts zu tun.

Dennoch erscheint die Sekundärmigration in andere EU-Staaten für Griechenland gar kein schlechtes Druckmittel zu sein. Athen verweist auf die mangelnde Solidarität. Wenn Flüchtlinge in einem EU-Land anerkannt seien, sollten sie sich auch innerhalb der EU freier bewegen können, meint Mitarakis. Die Erstaufnahmeländer könnten nicht alle Lasten tragen: Grenzen schützen, Flüchtlinge aufnehmen, Asylverfahren durchführen und die Leute ökonomisch integrieren. Andererseits steht Griechenland wegen der Pushbacks der griechischen Küstenwache in der Kritik.

STANDARD: Versucht die griechische Küstenwache zu verhindern, dass Migranten in griechische Gewässer kommen?

Mitarakis: Sie sollten einfach die EU-Verordnungen lesen, in denen steht, was erlaubt ist und was nicht. Abgesehen davon rede ich niemals über Einsatzpläne vor Ort. Denn das könnten auch Schmuggler lesen oder hören. Es gibt leider NGOs, die zuweilen auf Facebook Informationen darüber weitergeben, wo sich die Polizei oder die Küstenwache befinden. Damit unterstützen sie die Schmugglernetzwerke, entweder um Profit zu machen oder auch ohne Profit, aber jedenfalls muss das verurteilt werden. Wir machen nichts, was nicht durch das EU-Recht erlaubt ist. Wir haben in Griechenland aber eine Verpflichtung, unsere Grenzen zu schützen.

Schallkanonen nichts Besonderes

Kürzlich wurde publik, dass die griechische Grenzpolizei auch Schallkanonen verwendet, um Migranten davon abzuhalten, den Zaun am Festland zu überklettern. Das wurde wegen möglicher Gesundheitsschäden kritisiert.

Mitarakis: Die Polizei verwendet in vielen EU-Staaten Abschreckungsmittel, um Massenversammlungen zu verhindern. Einige EU-Staaten verwenden Wasserwerfer, Tränengas oder Einsatzkommandos. Ich verstehe nicht wirklich, was an den Mitteln der griechischen Polizei besonders sein soll. Ich finde das tatsächlich weniger schädlich als das, was die Polizei in anderen Staaten in manchen Situationen macht.

In Athen versucht man, die Kritik an sich abperlen zu lassen. Indessen hat sich die Situation auf den Inseln auch deshalb deutlich entspannt, weil kaum mehr Leute über das Meer kommen. Vergangene Woche waren es 18 Personen. Drei neue, von der EU finanzierte Camps auf Samos, Kos und Leros stehen kurz vor der Fertigstellung. Sie sollen diesen Sommer eröffnet werden, erzählt Mitarakis.

STANDARD: Und wann soll das neue Lager auf Lesbos gebaut werden und bezugsfertig sein?

Mitarakis: Die Ausschreibungen laufen. Wir wissen, wir haben das Land angemietet und die Umweltberechtigungen erhalten. Der Bau wird laut unseren Plänen noch 2021 begonnen und im Frühjahr 2022 beendet werden.

Geschlossene Lager

Die neuen Camps auf den fünf Inseln werden in der Nacht geschlossen sein, untertags kann man sie aber mit Zugangskarten verlassen. Es wird jedoch auch einen komplett geschlossenen Bereich geben, wo etwa jene ehemaligen Asylwerber untergebracht werden, die in letzter Instanz abgelehnt wurden und bei denen Fluchtgefahr besteht.

Auf Lesbos werden auch gerade die Umbauarbeiten des provisorischen Camps Kara Tepe (auf Griechisch "Mavrovouni" genannt) fertiggestellt. Dieses wird zwar kommenden Winter noch in Betrieb sein, aber Mitarakis erwartet wegen der geringeren Anzahl von Bewohnern "keine großen Probleme mehr". Vergangenen Winter gab es Überschwemmungen und zu wenige Sanitäreinrichtungen. Bis zum nächsten Kälteeinbruch ist zwar noch lange Zeit, aber bis dahin könnte auch wieder die Anzahl der ankommenden Flüchtlinge steigen. (Adelheid Wölfl, 19.6.2021)