Irans neuer Präsident Raisi läutet eine spannende Zeit ein.

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Die Iraner und Iranerinnen haben das bedeutungslos gewordene Ritual der Präsidentschaftswahlen hinter sich gebracht, die Justizchef Ebrahim Raisi ins Präsidentenamt hievten; Millionen Menschen haben sie ignoriert und sind zuhause geblieben. 2017, bei der Wiederwahl von Hassan Rohani, war das noch anders: Obwohl viele bereits von ihm enttäuscht waren – 2013 hatte Rohani mit dem Schlüssel als Symbol für die Freiheit Wahlkampf betrieben –, gingen 2017 mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Die Wahlen wurden zum Referendum über den 2015 abgeschlossenen Atomdeal.

Vier Jahre später ist nur politische Apathie geblieben, zu der die Folgen einer im Iran besonders schweren Covid-Epidemie kommen. Dabei gibt es gerade jetzt wieder die Hoffnung, dass der von US-Präsident Donald Trump ab 2018 zum Entgleisen gebrachte Atomdeal wiederbelebt wird und die Sanktionslast gegen die iranische Wirtschaft, die viele kleine Leute trifft, wieder sinkt. Aber viele Iraner und Iranerinnen haben inzwischen das Vertrauen verloren: in den politischen Sektor der Pragmatiker rund um Rohani, der die Wende nicht geschafft hat; in die Vertragstreue der westlichen Verhandlungspartner – und in die eigene oberste Führung, die diesmal bereits vor den Wahlen vorgab, wie das Ergebnis auszusehen hat.

Eine "Wahl" im demokratischen Sinn, eine Pluralität politischer Kräfte, hat es in der Islamischen Republik – und übrigens auch unmittelbar vor ihr nicht – ohnehin nicht gegeben. Aber nun ist neben dem einen Machtzentrum auch nur mehr ein Meinungszentrum übriggeblieben, das andere Lager, der andere Pol, wurde völlig von der politischen Bildfläche gedrängt. Zwar hatten die Pragmatiker mit Exzentralbankchef Abdolnasser Hemmati einen Kandidaten, der war aber von Anfang an aussichtslos.

Nur keine Überraschungen!

Die Prätention, durch eine halbwegs ordentliche Wahlbeteiligung der ganzen Unternehmung Legitimität zu verleihen, wurde offiziell dennoch aufrechterhalten. Das war jedoch eher ein Formalakt. Die Kontrolle über die Präsidentenwahl beziehungsweise deren Ergebnis war dem Regime deren Entwertung wert – ganz abgesehen davon, dass der oberste Führer, Ali Khamenei, ohnehin laut über die Abschaffung der Präsidentschaft in dieser Form nachdenkt. Diesmal wollte man keinesfalls Überraschungen innerhalb des Systems riskieren, wie 1997 durch den Sieg von Mohammed Khatami oder, aus der anderen Richtung, 2005 durch jenen von Mahmud Ahmadinejad.

Die Antwort, warum das alles so ist, ist leicht gegeben: Es geht im Iran darum, einen nahenden Übergang an der obersten Staatsspitze zu managen, da soll nichts dem Zufall überlassen werden. Die Bewahrung des Systems ist das oberste Prinzip, und was dazu für nötig und nützlich gehalten wird – und sei es, dass man dem längstdienenden Parlamentspräsidenten, Ali Larijani, den Antritt zu den Wahlen verwehrt –, wird umgesetzt. Eine echte kompetitive Wahl bringt Unsicherheit, wer weiß, was dabei herauskommt? Waren die teilweise recht deutlichen Unstimmigkeiten zwischen dem obersten Organ, dem religiösen Führer, und der Präsidentschaft prägend für die iranische Innenpolitik der letzten fast 25 Jahre, so ist jetzt damit Schluss. Das System muss kompakt, geschlossen sein, wenn sich nach 32 Jahren die Zeit von Ali Khamenei als oberster Führer des Landes dem Ende zuneigt.

Riskantes Spiel

Natürlich ist das eine Illusion des Regimes. Oft bewirkt genau so eine zusätzliche plötzliche Verengung eines autoritären Systems genau das Gegenteil: nicht den Verlust der treuen Basis, aber das Schrumpfen der Masse, die das Ganze noch irgendwie mitträgt. Justizchef Ebrahim Raisi schleppt dazu noch eine schreckliche historische Last mit sich: Für viele ist er angesichts der Massenhinrichtungen, für die er 1988 mitverantwortlich war, schlicht ein Mörder – nicht die besten Voraussetzungen für jemanden, der das Land zusammenhalten soll.

Welche Rolle er in der Zukunft wirklich spielen wird, ist nicht leicht einzuschätzen: Er ist ein in der Wolle gefärbter Konservativer, auch familiär an die strengsten konservativen klerikalen Kreise angebunden (sein Schwiegervater ist der berühmt-berüchtigte Freitagsimam von Mashhad, Ahmad Alamolhoda). Andererseits ist ihm gerade deshalb zuzutrauen, dass er, wenn Khamenei das will, pragmatische Entscheidungen durchzieht – wie eben die Rückkehr zum Atomdeal -, ohne dass ihn die Ultras zerfleischen, wie sie es mit Rohani getan haben, der zwar auch systemkonform ist, aber nicht zum superideologischen Lager gehört.

Andererseits wird auch ein Raisi Mühe haben, seine Wahlversprechen zu erfüllen, und er wird daran gemessen werden: Will er die Korruption wirklich bekämpfen, wird er auch in eigenen Kreisen fündig werden und agieren müssen. Und nicht zuletzt wird auch er, wenngleich er die persönliche Auswahl Khameneis ist, vielleicht einen persönlichen Ehrgeiz entwickeln, der nicht mit dessen Wünschen konform geht. Was Khamenei genau will, weiß man indes noch nicht: im Zweifelsfall geht es in solchen Systemen um die Absicherung der eigenen Macht beziehungsweise der eigenen Familie. So langweilig diese Wahlen im Iran gewesen sein mögen: Die nächste Zeit wird spannend. (Gudrun Harrer, 19.6.2021)