Viele Pride-Teilnehmerinnen und -teilnehmer brachten Transparente und Verkleidungen aus Eigenbau mit.

Foto: Christian Fischer

Wien – Warum sie an diesem heißen Samstagnachmittag zur Pride-Parade auf den Ring in Wien gekommen ist? "Wegen der Offenheit", sagt Selina aus der Schweiz. Hier müsse man weiter Druck machen. In ihrer Heimat etwa habe es mit der Zulassung der Ehe für alle bis vergangenen Juni gedauert – "und auch ich möchte ja einmal heiraten", sagt die 22-Jährige.

Zusammen mit ihrer Freundin Nadine, 25, hat sich Selina am Wiener Rathausplatz, dem Sammelort der Pride 2021, in den Schatten der Bäume des angrenzenden Rathausparks zurückgezogen. Drinnen im Park lagern hunderte bunt bekleidete und geschminkte junge Leute auf den Bänken und auf dem Rasen, trinken Bier und Energy Drinks aus Dosen oder schütten sich Wasser aus den Trinkbrunnen über den Schädel.

Keine Trucks, kein wildes Tanzen

Auf dem Platz, unter sengender Sonne, fotografieren unterdessen Pressefotografen und Touristen – letztere pandemiebedingt in relativ geringer Zahl – die ausstaffierten, High-Heel-bewehrten Drag Queens.

Überhaupt, die Pandemie: Dass man heuer bei der Pride coronapräventionsbedingt auf Trucks und wildes Partytanzen verzichten müsse, sei schade, sagt Selina – "aber das muss eben sein". Doch immerhin gebe es die alljährliche große Demo der LGBTIQ-Szene wieder: "Vergangenes Jahr haben wir nur einen Regenbogenfahne aus unserem Fenster hängen können", sagt Selina.

Die Regenbogenparade wurde mit von SPÖ-Vorsitzender Pamela Rendi-Wagner (sechste von links) angeführt.
Foto: christian fischer

Rund 20.000 Teilnehmende

Auf dem Ring formiert sich inzwischen der Paradenzug. Den Anfang macht ein von einem Dutzend Leuten getragenes Transparent. "Regenbogenparade" steht darauf – dahinter entfaltet sich ein wahrer Regenbogenfahnenwald. Dann kommen die organisierten Teilnehmergruppen, sämtliche politischen Organisationen der LGBTIQ-Szene sind da, ebenso Grüne, SPÖ und Neos und Gewerkschafter. Organisiert wird die politische Parade auch heuer wieder von der Stonewall GmbH, einem gemeinnützigen Unternehmen der Homosexuellen Initiative (Hosi) Wien.

Die Hauptrolle bei der Parade aber spielen die vielen anderen, die in fantasievoller Kleidung, selbstgemalten Tafeln und mit dekorierten Gefährten erschienen sind – Räder und Rollstühle sind trotz Corona erlaubt. An die 20.000 Menschen nahmen laut Schätzungen der Redaktion an der Massendemo für die Rechte von LGBTIQ teil.

Beliebtes Pride-Fotomotiv: Dragqueens.
Foto: christian fischer

Nicht ganz so laut

Zwei Männer kommen vorbei, die tragen himmelblaue Anzüge mit weißem Wolkendesign, eine Gruppe aus Lateinamerika hat eine Fahrradrikscha mit Girlanden und Kleidungsstücken geschmückt, aus einer Gruppe von Frauen auf Stelzen ragt noch höher ein Transparent: "Respect existence or expect resistance", steht drauf.

Vertreten sind auch die seit Monaten zum Pausieren gezwungenen Clubs. Doch statt aus riesigen Verstärkern auf Lkw-Ladeflächen zu wummern kommt ihre Musik heuer aus schieb- oder tragbaren Boxen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird bei der Abschlusskundgebung per Videobotschaft sagen, er bedanke sich, "dass Sie die Vielfalt hier und heute so deutlich – so ‚proud and loud‘- sichtbar, hörbar und spürbar machen", wird. Was die Lautstärke angeht, wurde getan, was ging.

Rückschritt in Ungarn

LGBTIQ-Rechte dürften nicht in Frage gestellt werden, betont Bundespräsident Van der Bellen in seiner Rede – "schon gar nicht in unserem gemeinsamen Europa". Ewa Ernst-Dziedzic, Sprecherin der Grünen für LGBTIQ und Menschenrechte, stieß ins gleiche Horn. "In Polen, Ungarn oder der Türkei ist der Abbau von Menschenrechten bereits bittere Realität. Das so genannte Werbe-Verbot, das diese Woche in Ungarn verabschiedet wurde, ist ein historischer Rückschritt", sagte sie.

Eine innenpolitische Forderung hingegen kam von der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner. In Österreich brauche es "weitreichende Maßnahmen gegen Diskriminierung", sagte sie. Hintergrund: Die Benachteiligung von LGBTIQ-Personen bei Dienstleistungen – etwa in einem Restaurant oder Hotel – ist hierzulande nach wie vor erlaubt.

Die Gegendemo "Marsch für die Familie" am Stephansplatz wurde durch viel Polizei geschützt.
Foto: christian fischer

Konfrontation am Stephansplatz

Die Wiener Pride-Parade 2021 verlief friedlich. Zu einer Konfrontation hingegen kam es am Stephansplatz, wo – auch das bereits zum zehnten Mal – konservative Christen und Rechte zum "Marsch für die Familie" zusammentrafen. LGBTIQ-Gruppen und Antifaschisten hatten sich zu Gegenkundgebung versammelt. Laut ihren Schilderungen machte ein Mann im Vorbeigehen den Wolfsgruß der türkischen Grauen Wölfe, es kam zu einem kurzen Handgemenge, die zahlreich anwesende Polizei schritt mit Härte ein . (Irene Brickner, 19.6.2021)