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Ebrahim Raisi hat eine solide Basis unter Unterstützern des islamischen Regimes. Ebenso groß ist jedoch das Lager, das ihn ablehnt.

Foto: Majid Asgaripour/WANA (West Asia News Agency) via REUTERS

Nach den geschlagenen Wahlen setzen die im Iran üblichen Rechenspiele ein. Angesichts ziemlich leerer Wahllokale, zumindest in Teheran, glauben nicht alle daran, aber offiziell gingen am Freitag 48,8 Prozent der wahlberechtigten Iraner und Iranerinnen zu den Urnen: Im Vergleich von mehr als 73 Prozent Wahlbeteiligung vor vier Jahren ist das noch immer eine Abfuhr für die Obrigkeit und ihre manipulierte Kandidatenauswahl – zumal auch noch ungewöhnlich viele Stimmen, 3,4 Millionen, ungültig waren.

Wenn er mit 62 Prozent gewonnen hat, hat etwa ein Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme für Ebrahim Raisi abgegeben. Das veranlasst iranische Medien, von "Erdrutschsieg" zu sprechen. In Wahrheit ist es ein gänzlich glanzloser Sieg.

Im Jahr 2017 hatte Ebrahim Raisi haushoch gegen Amtsinhaber Hassan Rohani verloren, nun wird er mit knapp 17,9 Millionen Stimmen, mit mehr als sechs Millionen weniger als damals Rohani, achter iranischer Präsident. Der 60-jährige Raisi – sein voller Nachname ist eigentlich Raisolsadati – war seit 2019 Chef der iranischen Justiz, als islamischer Jurist bekleidete er während seiner Karriere in der Islamischen Republik im Justizsektor etliche hohe Positionen, unter anderem die des Generalstaatsanwalts.

Im Wahlkampf 2017 warf ihm Rohani an den Kopf, dass Raisi zu jenen gehöre, die nichts kennen "außer Gefängnisstrafen und Hinrichtungen". Sein professioneller Hintergrund und Werdegang verkörpert er für viele die Strenge eines Unrechtsregimes. Unter seiner Ägide als Justizchef wurden jedoch auch – allerdings schon länger diskutierte – Justizreformen durchgeführt, die die Verhängung der Todesstrafe für einige Verbrechen, wie etwa Drogendelikte, im Iran erschweren. Der Iran gehört dennoch weiter zu den Staaten, in denen am meisten hingerichtet wird.

Dunkle Flecken

Für viele Iraner und Iranerinnern steht Ebrahim Raisi auch für besonders dunkle Ereignisse nach dem Ende des Iran-Irak-Kriegs (1980–1988). Raisi gehörte 1988 als Vizestaatsanwalt von Teheran einer von Revolutionsführer Ruhollah Khomeini ernannten vierköpfigen Justizkommission an, die nach Angriffen der oppositionellen Volksmujahedin tausende politische Gefangene hinrichten ließ. Der ursprünglich als Khomeini-Nachfolger gehandelte Ayatollah Hossein-Ali Montazeri, der sich deshalb mit diesem überwarf, nannte diese Exekutionen das "größte Verbrechen der Islamischen Republik". Das Tonband mit Montazeris Aussagen, auf dem auch Raisi zu hören ist, wurde 2016 verbreitet und ist seither öffentliches Gut.

Raisi wurde im Dezember 1960 in Mashhad in eine Kleriker-Familie geboren, die ihre Herkunft auf den Propheten Mohammed zurückführt, deshalb trägt er den schwarzen Turban. Als 18-Jähriger nahm er an der Revolution gegen den Schah teil, die später von den Religiösen monopolisiert wurde. Raisi ist mit der Tochter des Freitagsimams von Mashhad und Großimams des Schreins, Ahmed Alomolhoda, verheiratet, der wie er selbst als ultrakonservativ gilt.

Welcher klerikale Titel Raisi zukommt, ist umstritten: Er selbst bezeichnet sich als Ayatollah, aber seine Gegner zweifeln seine dafür notwendigen religiösen Qualifikationen an. Auch das ist kein Einzelfall: Auch Ali Khamenei erging es nicht besser, als er 1989 zum religiösen Führer aufstieg.

Kritik in Debatten

Bevor er Justizchef wurde, leitete Raisi ab 2016 die Astan-Quds-Razavi-Stiftung, die unter anderem den Imam-Reza-Schrein in Mashhad verwaltet, den bedeutendsten schiitischen Pilgerort im Iran. Die Stiftung kommt einem Großkonzern mit tausenden Angestellten gleich, der in den unterschiedlichsten Geschäftszweigen, von der Landwirtschaft bis zum Baugeschäft, tätig ist. Dennoch wurde Raisi nach den drei Wahlkampfdebatten der Präsidentschaftskandidaten dafür kritisiert, dass sein Mangel an ökonomischem und administrativem Wissen eklatant sei. Raisi verfügt auch über keine politische Erfahrung.

Raisi ist Mitglied des Expertenrats, der für die Auswahl des religiösen Führers im Fall eines Abgangs von Khamenei zuständig ist. Er selbst wird auch als möglicher Nachfolger genannt, und Iran-Experten sind uneins, ob sein Vorrücken in die Präsidentschaft ihn nun diesem Amt näherbringt oder nicht. Khamenei war, bevor er auf Khomeini folgte, ebenfalls Präsident, allerdings noch vor einer Verfassungsnovelle, die den zuvor vorhandenen Posten eines Premiers abschaffte und das Präsidentenamt neu definierte.

Viele befürchten, dass es unter Raisi zu einer weiteren Verengung des System und noch weniger sozialer Freiheit kommmt. Er steht wegen Menschenrechtsverletzungen unter US-Sanktionen. Schon während des Wahlkampfs wuchs die Repression, Journalisten wurden eingeschüchtert, keine Kritik zu äußern. Zur politischen Identität Raisis gehört die Gegnerschaft zu allem, was die Regierung Rohani verkörpert. Dabei ist jedoch auffällig, dass er nicht das unter Rohani abgeschlossene Atomabkommen von 2015 kritisierte, sondern nur das Versagen Rohanis, der sich von den USA täuschen habe lassen.

Atomverhandlungen in Wien

Die USA hatten 2018 unter Donald Trump den Atomdeal verlassen und sabotiert, in der Folge hatte auch Teheran mehr und mehr Verpflichtungen gebrochen. In Wien wird seit April über die Wiederbelebung des Abkommens verhandelt, zwischen USA und dem Iran allerdings nur indirekt. Am Sonntag fand in Wien ein formales Treffen der Atom deal-Partnerstaaten in Wien statt, die damit die sechste Tagungsrunde beschließen und sich auf später vertagen. Raisi wird erst im August sein Amt antreten, Verhandler in Wien sind zuversichtlich, dass es bis dahin einen Abschluss gibt. (Gudrun Harrer, 20.6.2021)