Neuer mit der strittigen Kapitänsbinde, die er nach dem Match gegen Frankreich wie ein Schweißband am Handgelenk trug.

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München/Budapest – Mit einer bunten Arena gegen finstere Tendenzen: Der Münchner Stadtrat hat die Politisierung der EM auf ihre vorläufige Spitze getrieben und die Europäische Fußball-Union (Uefa) dazu genötigt, Farbe in der Vielfalts-Diskussion zu bekennen. Ob das Stadion am Mittwoch rund um das letzte Vorrundenspiel der deutschen Mannschaft gegen Ungarn (21.00 Uhr/ORF 1) als Regenbogen erstrahlt, ist eine Frage von großer Tragweite.

Eine Antwort bleibt die Uefa in ihrer Rolle als Entscheidungsinstanz zwar noch schuldig, weil sie erst das offizielle Gesuch von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter abwarten will – an anderen Stellen sendeten Uefa-Maßnahmen am Sonntag aber schon Signale. Der Verband wird Berichte über Diskriminierungen am EM-Spielort Budapest untersuchen und hat eigens dafür einen Ermittler eingesetzt, zugleich überprüfte die Uefa zwar die Regenbogenbinde des deutschen Kapitäns Manuel Neuer in den beiden bisherigen Gruppenspielen und wird im Ergebnis keine Strafe verhängen.

Homophobe und rassistische Äußerungen in Budapest

Bei den bisherigen Partien der Ungarn in Budapest (0:3 gegen Portugal und 1:1 gegen Frankreich) war die berüchtigte "Carpathian Brigade" im Stadion in Erscheinung getreten. Der schwarz gekleidete Mob wird von Experten als paramilitärische Gruppierung eingeschätzt, die aus Neonazis besteht. Laut diverser Berichte sollen die Mitglieder der Brigade durch homophobe und rassistische Äußerungen aufgefallen sein, auch der Hitlergruß sei gezeigt worden.

Sollten sich die "Problemfans" auf den Weg nach München machen, droht der bayrischen Landeshauptstadt am Mittwoch ein massives Sicherheitsproblem – trotz der 1000 Polizisten, die im Einsatz sein werden. Das bayrische Innenministerium ließ bis Sonntagnachmittag eine SID-Anfrage unbeantwortet, wie auf eine Einreise ungarischer Nazis und eine mögliche Gefahrenlage reagiert werden soll.

Neuers Schleife "gutes Zeichen für Vielfalt"

Neuers Zeichen durch die Regenbogenbinde wurde nur für einige Stunden zum Politikum. DFB-Pressesprecher Jens Grittner bestätigte, dass die Uefa eine Überprüfung eingeleitet habe, weil Neuer nicht das offizielle Modell des Kontinentalverbandes trage. Letztlich wertete die Uefa die Regenbogenversion aber als "gutes Zeichen für Vielfalt".

Einer möglichen Konfrontation mit dem DFB wich die Uefa somit aus. "Der Juni steht auch im Sport im Zeichen von 'Pride (Stolz)', um sich für mehr Vielfalt stark zu machen. Auch in diesem Jahr beteiligt sich der DFB mit verschiedenen Aktionen", hatte Grittner gesagt. "Manuel Neuer trägt bereits seit dem Testspiel am 7. Juni gegen Lettland die Regenbogenbinde. Als Zeichen und klares Bekenntnis der gesamten Mannschaft für Diversität, Offenheit, Toleranz und gegen Hass und Ausgrenzung. Die Botschaft lautet: Wir sind bunt!"

Uefa in der Bredouille?

Die Frage der Regenbogen-Arena soll Anfang der Woche geklärt werden. Am Montag möchte Reiter der Uefa den fraktionsübergreifenden Antrag des Stadtrats unterbreiten, wonach die bunte Arena "ein sichtbares Zeichen der Solidarität mit der LGBTI Community in Ungarn" setzen soll.

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Die Allianz-Arena in München spielt farblich alle Stückeln. Ob sie im Rahmen der Euro auch Regenbogenfarben zeigen darf, bleibt abzuwarten. Das entscheidet letztlich die Uefa.
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Nach SID-Informationen glühen aber bereits die Drähte zwischen der Stadt und dem Verband, der sich nach seinen massiven Kampagnen für Diversität der Aktion eigentlich nicht widersetzen kann. Auf der anderen Seite wird der Uefa eine von vielen Seiten kritisch gesehene Nähe zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nachgesagt. Das könnte den Verband in die Bredouille bringen.

Heftige Kritik an Gesetz in Ungarn

Schließlich richtet sich das Vorhaben der Münchner unmissverständlich gegen die rechtsnationalistische Regierung Ungarns unter Orbán. Sie hatte zuletzt ein Gesetz gegen "Werbung" für Homosexualität durch das Parlament gebracht und damit heftige Kritik ausgelöst. Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht Ungarn eine Prüfung des Gesetzes, das vor allem von Orbán vorangetrieben wurde.

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), der eine bunte Münchner Arena befürwortet, sieht durch das ungarische Gesetz den "neuen Höhepunkt einer Unsichtbarmachung und Entrechtung von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI)". Er reihe sich laut LSVD-Bundesvorstand Alfonso Pantisano "ein in die seit Jahren betriebene systematische Einschränkung von Rechtstaatlichkeiten und Grundfreiheiten".

Mit seinen Standpunkten findet der LSVD offene Ohren bei den deutschen Nationalspielern. "Sie sind immer ein Thema, weil wir wissen, welche Kraft und Reichweite der Fußball hat", antwortete Joshua Kimmich nach dem Sieg gegen Portugal auf die Frage nach dem Umgang mit den Themen Rassismus und Menschenrechte: "Rassismus ist ein Paradebeispiel. Fußball kann ein großes Vorbild für die Gesellschaft sein. Wir haben als Nationalmannschaft gezeigt, dass wir für die Menschenrechte einstehen."

Das will auch München. Unabhängig von der Uefa-Entscheidung zum Stadion wird das Rathaus schon ab Dienstag mit Regenbogenfahnen geschmückt, "um so ein klares Statement abzugeben". (sid, 20.6.2021)