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Der rechtskonservative britische Nachrichtensender GB News startete am 13. Juni 2021.

Foto: AP/Yui Mok

London – Wer seit einer Woche in Großbritannien den Fernsehkanal 236 einschaltet, sieht wenig und hört noch weniger. Auf dem Bildschirm erscheint, tief in Schatten getaucht, eine Schrankwand mit modernem Büromobiliar, dazu ein ausgesprochen künstlich aussehender Blumenstrauß. Im Vordergrund dieses Wartezimmers einer offenbar Strom sparenden Werbeagentur sitzt mindestens ein Mensch und spricht in die Kamera, wobei Bild und Ton nur selten ganz übereinstimmen. Zu verstehen, was die Damen und Herren zu sagen haben, gelingt erst nach Verdreifachung des gewohnten Volumens.

BBC als zu links empfunden

Willkommen beim Nachrichtensender GB News, mit dem rechte Investoren der als viel zu links empfundenen BBC sowie dem neuerdings zum US-Konzern Comcast gehörenden Sky News Konkurrenz machen wollen. Mehr als 60 Millionen Pfund (70 Mio. Euro / 76,5 Mio. Franken) haben neben anderen der Hedgefonds-Milliardär Paul Marshall, die US-Medienfirma Discovery und die in Dubai beheimatete Investmentfirma Legatum des britisch-maltesisch-neuseeländischen Milliardärs Christopher Chandler in ihr neues Steckenpferd investiert.

Weder die führenden Geldgeber noch Chairman Andrew Neil geben ihren steuerlichen Wohnsitz auf der Insel an, aber daran sind die Briten gewöhnt: Viele erfolgreiche Geschäftsleute lassen sich in Steuerparadiesen nieder. Gern teilen sie von dort aus den Medien – am liebsten jenen, die ihnen selbst gehören – mit, was alles schiefläuft im Vereinigten Königreich.

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Chairman Andrew Neil.
Foto: AP/Yui Mok

Nordiren werden ausgeschlossen

Apropos United Kingdom (UK): Verspätet scheint man bei GB News bemerkt zu haben, dass die Abkürzung GB für Großbritannien die Nordiren ausschließt, und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der Boris Johnsons Brexit-Regierung mit der EU im Dauerclinch über den britischen Teil der grünen Insel Irland liegt. Die Zuschauer sehen sich jedenfalls in großen Buchstaben mit dem Logo GB News UK konfrontiert. Damit soll wohl der bei jeder Gelegenheit mitgeteilte Patriotismus ("wir sind stolz darauf, britisch zu sein") all jener Brexit-Wähler verstärkt werden, an die sich der neue Sender explizit wendet. Ohnehin sind Namenseinblendungen und das berühmte Laufband am unteren Bildschirmrand in vergleichsweise riesiger Schrift zu sehen, wohl ein Hinweis auf die nachlassende Sehkraft vieler älterer Medienkonsumenten.

Brexit-Veteran Nigel Farage als Gast

"Wir sind" – na, was wohl – "stolz darauf, Briten zu sein", teilte Neil bei Sendebeginn vor Wochenfrist den Zuschauern mit: GB News werde "nicht als Echokammer der Metropolen-Elite dienen, welche die Medien so sehr dominiert". Die Geschäftsräume und das Studio des neuen Senders sind in London-Paddington angesiedelt. Zu den ersten Gästen zählten Brexit-Veteran Nigel Farage und Altunternehmer Alan Sugar, Paradebeispiele der immergleichen Medien-Elite.

Dass GB News von insgesamt 140 neuen Arbeitsplätzen lediglich ein gutes Dutzend für Techniker, hingegen 120 für Journalisten vorgesehen hatte, schien sich in der ersten Sendewoche zu rächen: Da fehlten Technik- und Computerfachleute an allen Ecken und Enden. Oder handelte es sich, wie eine Rezensentin süffisant vermutete, um die sprichwörtliche Abneigung führender Brexiteers gegen alles Expertentum? Legendär ist auf der Insel die Äußerung des Brexit-Vorkämpfers und heutigen Kabinettsmitglieds Michael Gove, wonach die Briten "genug haben von Experten".

Rauchen vor der Kamera

GB News versuchte das Publikum mit etwas albernen Gags zu beeindrucken. Da durfte ein hörbar nicht mehr ganz nüchterner Kolumnist vor der Kamera rauchen, eine Interviewpartnerin hatte ihren Hund auf dem Schoß. Society-Kolumnist Dan Wootton lebte in einem Monolog seine gänzlich unwissenschaftliche Lockdown-Abneigung aus, was GB News 373 Beschwerden bei der Aufsichtsbehörde Ofcom einbrachte. Deren Existenz und die Verpflichtung der TV-Sender auf Ausgewogenheit galt bisher als Garantie dafür, dass mediale Hassprediger und vollkommen einseitige Darstellungen von Politik und Gesellschaft auf der Insel wenig Chancen haben.

Die Reaktionen auf den britischen Fox News-Verschnitt fielen sehr unterschiedlich aus. Der linksliberale "Guardian" sagte GB News den Tod binnen eines Jahres voraus. Die konservative "Mail" spottete, die Programme würden "wohl mit einer Mobiltelefonkamera gefilmt". Hingegen dokumentierte der rechte "Telegraph" die Freude über den neuen Seelenverwandten mit vier Sternen.

Tory-Prominenz

Begeistert scheint man auch in der Downing Street zu sein, wo Johnsons engste Berater einen Feldzug gegen die BBC geführt hatten, ehe die Corona-Pandemie die hastige Rückkehr von Ministern zu dem weltberühmten Sender erzwangen, den die Briten für ihre bei weitem vertrauenswürdigste Nachrichtenquelle halten. Für GB News standen schon in den ersten Sendetagen Finanzminister Rishi Sunak, Innenminister Priti Patel und andere Tory-Prominenz für exklusive Interviews zur Verfügung. Die Einschaltquoten waren entsprechend: Zum Auftakt habe man "deutlich mehr Zuschauer" gehabt als die Konkurrenten BBC News und Sky News, freute sich Chairman Neil.

TV-Veteran

Der 72-Jährige gehört zu den legendären Medienfiguren auf der Insel: Für den US-australischen Medienzaren Rupert Murdoch machte der schottische Workaholic in den 1980er-Jahren nicht nur die "Sunday Times" zum Bestseller und Must-Read der politischen Elite. Er hob auch Sky Television aus der Taufe, das sich jahrzehntelang als lukrative Einnahmequelle für Murdoch erwies. Neils Autobiografie enthält eine ebenso brillante wie differenzierte Abrechnung mit dem "Sonnenkönig" Murdoch. Für die BBC leitete der TV-Veteran später mehr als ein Jahrzehnt lang eine dezidiert politische, dabei stets amüsante Talkshow; seine Interviews mit den Spitzenkandidaten der großen Parteien im Wahlkampf flößten Boris Johnson 2019 so großen Respekt ein, dass der Premierminister seine bereits gegebene Zusage wieder zurückzog.

Dass die BBC im vergangenen Jahr Neil ziehen ließ, könnte sich als Fehler herausstellen, verleiht der glänzend vernetzte Glasgower GB News doch einen Glanz, den viele seiner Co-Moderatoren vermissen lassen. Die technischen Kinderkrankheiten dürften auf Dauer kaum ins Gewicht fallen; beim Start von Sky News und dem BBC-Newskanal habe es sie auch gegeben, erinnern sich Veteranen. Entscheidend für den –gewiss ohnehin nicht finanziellen – Erfolg des neuen Senders dürfte sein, wie groß der Appetit der Briten auf ideologisch dezidiert eingefärbte Nachrichten wirklich ist. (Sebastian Borger aus London, 21.6.2021)