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Solidarität mit der HDP.

Foto: REUTERS/Dilara Senkaya

Seit Montagmorgen ist klar: Gegen die kurdisch-linke Demokratische Partei der Völker (HDP), die zweitgrößte Oppositionspartei, wird ein Verbotsverfahren stattfinden. Nach Meldungen der staatlichen Presseagentur Anadolu Ajansı haben die 15 Richter am Verfassungsgericht einstimmig dem Verbotsantrag des Generalstaatsanwaltes zugestimmt. Noch im März war ein erster Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden, aus formalen Gründen, wie es damals hieß.

Damit beginnt nun ein längeres Verfahren, das wahrscheinlich erst im kommenden Jahr beendet wird. Die Staatsanwaltschaft fordert nicht nur ein Verbot der HDP, sondern will auch 500 der führenden Kader der HDP für mindestens fünf Jahre mit einem Politikverbot belegen lassen. Dadurch soll verhindert werden, dass die HDP unter einem neuen Namen ihre Arbeit fortsetzt. Außerdem will die Staatsanwaltschaft, dass die Bankkonten der Partei sofort gesperrt werden, was das Verfassungsgericht jedoch erst einmal abgelehnt hat.

Hohe Hürden im Parlament

Die HDP ist die bislang erfolgreichste Partei aus einem kurdischen Umfeld. Ihren zahlreichen Vorgängerinnen war es nie gelungen, die extra zur Verhinderung einer parlamentarischen Repräsentanz der Kurden eingeführte Zehn-Prozent-Hürde zu überspringen. Kurdische Politikerinnen und Politiker waren bis dahin nur auf Listen anderer Parteien oder als Unabhängige ins Parlament gekommen.

Der jahrzehntelange Kampf für eine echte parlamentarische Vertretung der kurdischen Minderheit hatte erst unter der Führung des populären Selahattin Demirtaş im Frühjahr 2015 Erfolg, als die Partei mit über 13 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde erstmals überwand. Trotz massiver Repression gelang seitdem bei zwei weiteren Wahlen der Wiedereinzug ins Parlament, im Jahr 2018 bereits ohne Demirtaş, der da schon im Gefängnis saß.

Prozesse gegen HDP-Köpfe

Das Verfahren zum Verbot der Partei wird nun parallel zum Prozess gegen Demirtaş und andere führende HDP-Politiker und -Politikerinnen stattfinden, die beschuldigt werden, im Oktober 2014 zu illegalen Demonstrationen aufgerufen zu haben, um die Kurden in Syrien bei ihrem Kampf gegen den IS gegen den Willen der türkischen Regierung zu unterstützen. Allein Demirtaş droht eine Haftstrafe von über 100 Jahren.

Sowohl der Prozess gegen den populären Parteiführer wie das Verbotsverfahren sollen dafür sorgen, dass die um mehr Selbstbestimmung kämpfenden Kurden in der Türkei politisch ausgeschaltet werden. Die wesentliche Begründung dafür ist, die HDP unterstütze den "Terror" der militanten PKK und sei in Wahrheit keine politische Partei, sondern nur ein Handlanger der Terrororganisation.

Dämonisierung der HDP

Das damit mehr als sechs Millionen Wähler zu "Terrorunterstützern" gestempelt werden, nimmt die Regierung in Kauf. Die ständige Dämonisierung der HDP hat immer wieder zu Attacken gegen die Partei geführt. Erst letzte Woche hatte ein bewaffneter Attentäter das Parteibüro in Izmir angegriffen und eine junge Frau getötet.

Der wichtigste Grund für das Verbotsverfahren dürfte sein, dass Präsident Erdoğan befürchten muss, 2023 keine Mehrheit mehr zu erreichen, wenn ein gemeinsamer Kandidat der republikanischen Opposition auch von den Kurden unterstützt wird. Schon 2015 hatte die AKP durch den Einzug der HDP ins Parlament ihre absolute Mehrheit verloren. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 21.6.2021)