Edeltraud Hanappi-Egger, Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien, schreibt in ihrem Gastbeitrag über die Probleme der Universitäten in Pandemiezeiten und blickt sorgenvoll in Richtung des kommenden Wintersemesters.

Mit zunehmenden Öffnungsschritten nimmt auch die Zahl der Rufe zu, die die vermeintlich fehlenden Lockerungen an Universitäten kritisieren. Meist wird der Vergleich mit Schulöffnungen herangezogen. Ja, wenn die Schulen bereits jetzt wieder im Vollbetrieb sind, warum bleiben die Unis dann bitte nach wie vor bei Distanzlehre? Dem muss entgegengehalten werden, dass diese Aussage so nicht stimmt, weil etliche Lehrveranstaltungen, zum Beispiel künstlerische oder jene, die in Laboren stattfinden, selbst nach Ausbruch der Pandemie so schnell wie möglich wieder in Präsenz waren und nach wie vor sind.

Uni-Alltag in Corona-Zeiten: zuerst durch die Covid-19-Teststraße, dann zur Lehrveranstaltung der WU-Wien im Austria Center Vienna.
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Oft wird auch übersehen, dass Universitätsangehörige nicht ausschließlich im Homeoffice arbeiten, nur weil die Lehre teilweise in Distanz stattfinden muss. Vielmehr sind Universitäten auch große Arbeitgeberinnen mit tausenden Mitarbeitenden, die in ihren Büros vor Ort arbeiten und forschen. In der Lehre bleiben aber tatsächlich viele Kurse auch für den kleinen Rest dieses Sommersemesters auf Distanz.Derzeit besteht die Hoffnung, dass es im Herbst ohne Abstandsregeln ins Semester gehen kann. Was aber wäre, wenn nicht? Das lässt sich an den derzeit bestehenden Problemfeldern schon jetzt ablesen:

Die Größe der Universitäten: Universitäten sind um ein Vielfaches größer als Schulen. Nicht nur was die Zahl der Mitarbeitenden betrifft, sondern auch vor allem jene der Lernenden. An der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) sind in Summe knapp 21.000 Studierende zugelassen. An jeder Universität finden oft hunderte Lehrveranstaltungen in unterschiedlichen Zusammensetzungen der Studierenden statt, das heißt, dass sich an der WU in "Normalzeiten" täglich etwa 10.000 Studierende und, wenn Lehre im Hybridmodus stattfinden muss und die Bibliotheken offen sind, immerhin bis zu 4000 Studierende zur selben Zeit, aber in unterschiedlichen Kursen auf dem Campus aufhalten. Das ist eine ziemliche Herausforderung für jede Art der Kontrolle der Drei-G-Regeln oder für das Contact-Tracing.

Darüber hinaus gibt es an Universitäten auch zahlreiche sehr große Vorlesungen. An der WU beispielsweise sind es im Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften allein acht Lehrveranstaltungen mit über 1000 Studierenden, zwei sogar mit über 2000, die entsprechende Raumkapazitäten benötigen, die mit Abstandsregelungen nicht vernünftig in Präsenz abgehalten werden können.

Abstandsregeln gelten: Selbst bei kleineren Lehrveranstaltungen mit 120, 60 oder 30 Studierenden kann unter Einhaltung der Abstandsregel nur ein Bruchteil von ihnen tatsächlich in Präsenz an die Uni kommen. Zur Veranschaulichung: Das Audimax an der WU bietet normalerweise Platz für 650 Personen. Bei Einhaltung der Ein-Meter-Abstandsregel bleibt noch Platz für 201 Personen, mit Zwei-Meter-Abstand nur noch für 87. Der Rest müsste in Distanz bleiben. Erst ab Juli soll die Abstandsregel zur Gänze fallen, ob das auch im Herbst so bleibt, muss allerdings noch abgewartet werden.

Viele Studierende sind gar nicht vor Ort: Universitäten sind internationale Bildungsinstitutionen. An der WU kommen fast 30 Prozent der Studierenden aus dem Ausland. Der Großteil davon konnte aufgrund der Reiserestriktionen gar nicht anreisen. Für sie mussten alle Lehrveranstaltungen ohnehin digital angeboten werden. Und auch viele Studierende aus den Bundesländern haben sich im Studienjahr 2020/2021 keinen Wohnplatz beispielsweise in Wien genommen. Die wenigen Lehreinheiten, die etwa ab 10. Juni im Hybridmodus hätten angeboten werden können, hätten daher nicht nur für die Unis, sondern auch für Studierende massive Kosten verursacht.

Hohe Kosten durch Kontrollen: Universitäten haben zwar nun die Möglichkeit, mittels Zutrittskontrollen Lehrveranstaltungen vor Ort anzubieten, doch auch das ist an großen Universitäten mit einem immensen logistischen Aufwand und hohen Kosten verbunden. Für die WU würde das bedeuten, dass sich im Falle der Lehre in Präsenz auf dem Campus (Sicherheitspersonal-) Kosten für Drei-G-Zutrittskontrollen in der Höhe von circa 18.000 Euro pro Tag und damit also über 100.000 Euro pro Woche ergeben.

Planbarkeit: Unis müssen ihre Lehrveranstaltungen aufgrund ihrer Größe und Internationalität lange im Voraus planen, kurzfristige Umplanungen sind kaum möglich. Vor allem auch, weil sich Studierende darauf einstellen können müssen, in welcher Form sie unterrichtet werden. Auch können die sich laufend ändernden Rahmenbedingungen in der Pandemie nicht ohne entsprechende Vorlaufzeiten in allen Bereichen, vor allem in der Lehre, einfach nachgezogen werden. Gemacht wird das aber sehr wohl bei Bibliotheksöffnungen und Serviceeinrichtungen.

Die WU hat für das kommende Wintersemester Szenarien ausgearbeitet, für den Fall, dass die Abstandsregeln – so die Hoffnung – tatsächlich fallen. Diese wird sie den Studierenden auch kommunizieren, damit sie planen können. Dabei ist es natürlich wünschenswert, dass auch Studierenden bald die Möglichkeit einer Impfung geboten wird, um zumindest auf der Basis der Drei-G-Regeln wieder in der Form zu arbeiten, zu lehren und zu lernen, die universitäres Leben ausmacht: nämlich in Präsenz. (Edeltraud Hanappi-Egger, 22.6.2021)