Eine neue Studie zeigt, warum Bäume bei Trockenheit zwar noch Kohlenstoff speichern, aber nicht mehr wachsen.
Foto: M. Kaennel Dobbertin

Entgegen einer weit verbreiteten Annahme wachsen Bäume keineswegs vor allem tagsüber. In Wahrheit findet das Wachstum der Bäume hauptsächlich im Dunkeln statt, mit einer Wachstumsspitze nach Mitternacht, wie internationale Wissenschafter berichten. Der Grund dafür ist, dass das Wachstum bei Sonnenlicht durch die trockenere Luft gehemmt wird, selbst bei feuchten Bodenverhältnissen. Diese Erkenntnis könnte die Art und Weise verändern, wie wir die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder betrachten, insbesondere für die Vorhersage der Kohlenstoffspeicherung von Bäumen.

Bäume bilden neue Zellen, indem sie die Kohlenhydrate nutzen, welche die Blätter und Nadeln im Rahmen der Photosynthese mit Hilfe des in der Luft vorhandenen Kohlendioxids produzieren. Es ist jedoch nicht primär die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten, die das Wachstum begrenzt, sondern die Saugspannung des Wassers im Baum, das sogenannte Wasserpotenzial, wie die nun im Fachjournal "New Phytologist" veröffentlichte Studie zeigt.

Das internationale Forscherteam um Roman Zweifel von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL ist zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, dass Bäume überwiegend in der Nacht wachsen und dass dieser Trend vor allem durch die Luftfeuchtigkeit erklärt wird, die nachts höher ist als tagsüber.

1-5 Mikrometer pro Stunde

In der weltweit ersten umfassenden Studie zum Dickenwachstum von Baumstämmen mit einer stündlichen Datenauflösung analysierten die Forscher Daten, die bis zu acht Jahre an 170 Buchen, Fichten und anderen häufigen Baumarten an 50 Standorten in der ganzen Schweiz aufgezeichnet wurden. Die untersuchten Standorte sind Teil von TreeNet. In diesem Netzwerk erheben Forscher seit 2011 in Schweizer Wäldern neben Informationen über die Trockenheit von Luft und Boden auch automatisiert die Radiusänderungen von Baumstämmen mit hochpräzisen Punktdendrometern.

Punktdendrometer an einem Stamm zur Messung von kontinuierlichen Stammradiusänderungen mit Mikrometerauflösung. Die Daten liefern Informationen zum Wachstum und zum Wasserhaushalt von Bäumen.
Foto: Roman Zweifel

Die Daten zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit des Baumwachstums über die 24 Stunden eines Tages stark variiert: Der Radius von Stämmen schrumpft und dehnt sich unter dem Einfluss von Wasserstress in einem Bereich von 1-200 Mikrometer pro Tag. Diese Schwankungen werden vom Wachstum von Holz- und Rindenzellen, das durchschnittlich etwa 1-5 Mikrometer pro Stunde beträgt, überlagert.

Luftfeuchtigkeit als Schlüssel zum Baumwachstum

Das Forscherteam kam zum Schluss, dass die Luftfeuchtigkeit eine Schlüsselrolle spielt, da sie das Wachstum hauptsächlich in der Nacht ermöglicht. In ihrer Studie schränkte trockene Luft tagsüber das Dickenwachstum stark ein, außer am frühen Morgen. "Die größte Überraschung für uns war, dass die Bäume sogar in mäßig trockenen Böden wuchsen, sofern die Luft ausreichend feucht war. Umgekehrt blieb das Wachstum sehr gering, obwohl der Boden feucht, zeitgleich die Luft aber trocken war", sagt Zweifel.

Sobald die Luft trockener wird, verlieren die Bäume vorübergehend mehr Wasser durch Transpiration, als sie über ihre Wurzeln aufnehmen können. Der gesamte Baum gerät unter Spannung, das Stammwasserpotenzial sinkt, und sein Wachstum stoppt, unabhängig von der Verfügbarkeit von Kohlenhydraten. "Mit anderen Worten: Bäume hören auf zu wachsen, bevor die Photosynthese gehemmt wird", fasst Zweifel zusammen. Das könnte zum Beispiel erklären, warum Bäume in trockeneren Umgebungen zwar noch Kohlenhydrate speichern, aber kaum noch wachsen.

Video: Trockenheit, Hitze und Wälder
Eidg. Forschungsanstalt WSL

Nur wenige Stunden pro Tag und wenige Tage pro Jahr

Diese Studie zeigt, dass Bäume nur während eines engen Zeitfensters von wenigen Stunden innerhalb der 24-Stunden eines Tages und somit nur während einer begrenzten Zeit über die gesamte Vegetationsperiode wachsen (aufsummiert etwa 15-30 Tage je nach Baumart). Da Kohlenstoffgewinn (Photosynthese während des Tages) und Kohlenstoffverbrauch (Wachstum während der Nacht) zu anderen Tageszeiten stattfinden, reagieren diese zwei Prozesse auch unterschiedlich auf die dann herrschenden Witterungsbedingungen.

Bisher verwendete Klima-Waldentwicklungsmodelle hingegen beruhen nur auf dem Wissen aus hauptsächlich Jahresmittelwerten des Wachstums, gehen also auf die tageszeitlich unterschiedlich vorkommenden Prozesse nicht ein. Diese Erkenntnisse könnten die Art und Weise verändern, wie die Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder zu beurteilen sind, insbesondere wenn es um langfristige Vorhersagen der Kohlenstoffspeicherung von Wäldern unter zunehmend trockeneren Bedingungen geht. (red, 21.6.2021)