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Eric Adams, hier bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brooklyn, möchte ins Rathaus des Big Apple einziehen. Seine Chancen stehen nicht schlecht.

Foto: REUTERS/Brendan McDermid

Der Kinderwagen kommt wie bestellt. Mit gut gespielter Begeisterung stürzt Eric Adams auf ihn zu, geht in die Knie, streichelt die Wangen des Jungen, der in dem Wagen sitzt, erhebt sich und drückt dem stolzen Vater ein Flugblatt in die Hand. Auf dem steht unter anderem, dass Eric Adams schon immer der Meinung war, dass man seinen Schmerz in etwas Positives verwandeln kann.

Wahlkampf in Manhattan, 116th Street, ein paar Straßen nördlich vom Central Park, morgens an einer U-Bahn-Station. Adams, angetreten, um New Yorker Bürgermeister zu werden, wirbt mit seiner Biografie. Aufgewachsen in der Obhut einer alleinerziehenden Mutter in einem problembeladenen Viertel im Stadtteil Queens, wurde er nach einer Festnahme im Keller einer Wache von Polizisten brutal zusammengeschlagen. Er war damals fünfzehn.

Rat des Pfarrers

Einen guten Freund, erzählt er, habe er in den Kriegen zwischen rivalisierenden Drogenbanden verloren. Später beherzigte er den Rat eines Pfarrers und bewarb sich selbst bei der Polizei. Die rasante Verbreitung von Crack, einer Mischung aus Kokain und Natron, ließ die Rauschgiftsucht und mit ihr die Kriminalität dramatisch ansteigen, wobei es die afroamerikanischen Gemeinden besonders hart traf.

Als die Politik in Washington glaubte, dem Problem durch eine Gesetzgebung Herr werden zu können, die schon den Besitz kleiner Mengen von Crack mit drakonischer Härte bestrafte, meldete Adams Widerspruch an: So löse man nichts, so diskriminiere man nur. Zum Captain befördert, gründete er eine Initiative gegen das "racial profiling", das junge Schwarze und Latinos in den Augen weißer Polizeibeamter oft von vornherein unter Tatverdacht stellt.

Zentrales Thema Sicherheit

Heute, da die Kriminalität in New York erneut steigt, wenn auch längst nicht auf die beängstigenden Werte der Achtzigerjahre, diskutiert die Stadt abermals über die Sicherheit auf ihren Straßen. Das Thema bestimmt die Debatten der Bürgermeisterkandidaten. Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Adams, man müsse die grassierende Schusswaffengewalt so ernst nehmen wie nach den Anschlägen am 11. September 2001 den Terrorismus. "So wie wir gelernt haben, unsere U-Bahnen vor Bomben zu schützen und beim geringsten Verdacht Alarm zu schlagen, müssen wir verhindern, dass New York mit Pistolen überschwemmt wird."

Um den Waffenschmuggel aus benachbarten Bundesstaaten einzudämmen, will er verstärkt Undercover-Polizisten einsetzen. Für Aufsehen sorgte er, als er erklärte, auch als Bürgermeister würde er einen Revolver tragen, jedenfalls in Bedrohungslagen. Wie sich das wohl mit seinem Abrüstungsanspruch vertrage, monierten Kritiker.

An der 116th Street zitiert er irgendwann Desmond Tutu, den Prediger der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung: "Wir verbringen ein Leben damit, Leute aus dem Fluss zu ziehen, in den sie gefallen sind. Aber niemand geht ein Stück flussaufwärts und sorgt dafür, dass die Leute gar nicht erst ins Wasser fallen." Er sei der Mann, der flussaufwärts gehe, schiebt er hinterher. Mal ist er der Ex-Cop mit Pistole im Gürtel, mal der nachdenkliche Sozialarbeiter. In eine Schublade stecken lässt er sich nicht.

Adams, 60 Jahre alt, will Rathauschef der größten Stadt der USA werden. Einer Megacity mit mehr als acht Millionen Einwohnern, darunter rund eine Million Schüler, 325.000 öffentlich Bedienstete, über 60.000 Obdachlose und – nach aktuellem Stand – 113 Milliardäre. Eine solche Stadt zu regieren ist so unsagbar schwer, dass der Posten nach dem des Präsidenten im Weißen Haus als der zweithärteste Job gilt, den die US-amerikanische Politik zu vergeben hat.

Abschied von Bill de Blasio

In den Umfragen liegt Adams vorn. Sollte er gewinnen, wäre er nach David Dinkins, der von 1990 bis 1993 in der City Hall regierte, erst der zweite Afroamerikaner auf diesem Posten. Andrew Yang, ein gelernter Anwalt, der mit einem Start-up zum Millionär wurde, wäre der erste Bürgermeister asiatischer Abstammung. Chancen rechnet sich auch Kathryn Garcia aus, eine Verwaltungsexpertin, die bis vor kurzem das Amt für Stadtreinigung leitete. Scott Stringer, Chef des New Yorker Rechnungshofs, lag gut im Rennen, bis Vorwürfe sexueller Belästigung auftauchten. Die Bürgerrechtsjuristin Maya Wiley ist die Favoritin der Linken, die insbesondere in den Küstenmetropolen im Aufwind segelt.

Sie alle wollen Bill de Blasio ablösen, den anfangs als kühnen Reformer bejubelten, inzwischen jedoch ziemlich unpopulären Amtsinhaber, der nach zwei Legislaturperioden im November nicht noch einmal antreten darf. Dass ein Demokrat sein Nachfolger wird, gilt als wahrscheinlich. Deshalb fallen bei den Vorwahlen am 22. Juni, wenn die Partei über ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten entscheidet, im Grunde bereits die Würfel. 13 Bewerber sind diesmal angetreten, höchstens fünf von ihnen billigen die Demoskopen Siegchancen zu.

"Von Slogans halte ich nichts"

Adams präsentiert sich als der lebenserfahrene Praktiker, der vielleicht nicht die großen Visionen bietet, dafür aber genau weiß, wie seine Stadt tickt. Nach gut zwei Jahrzehnten im Polizeidienst wurde er in den Bundesstaatensenat New Yorks und später zum Verwaltungschef von Brooklyn gewählt. Im Wahlkampf ist er Mister Tacheles, der, so porträtiert er sich gern, die Dinge beschreibt, wie sie sind, auch wenn das nicht jedem gefallen mag.

Seit dem Tod George Floyds ist die Parole "Defund the police" in aller Munde. Was sie konkret bedeutet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Zahl der Polizisten reduzieren? Lokalen Polizeikräften die Mittel streichen und das eingesparte Geld für soziale Zwecke ausgeben? Bestehende Strukturen auflösen? "Von Slogans halte ich nichts", erwidert Adams, wenn man ihn darauf anspricht. "Du kannst alle möglichen Reformen anpeilen: Wenn es auf deinen Straßen von Schusswaffen nur so wimmelt, dann werden immer noch zu viele Kids erschossen." (Frank Herrmann aus New York, 22.6.2021)