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In seiner ersten Amtszeit führte Senol Günes die Türkei zum dritten WM-Rang 2002. Die zweite könnte unrühmlich enden.

Foto: AP/Baker

Die massive Kritik, den stürmischen Gegenwind und die heftigen Vorwürfe – all das sah Hakan Calhanoglu vom AC Milan wohl schon kommen. Nach dem blamablen Vorrunden-Aus der Türkei bat der Star schon einmal vorsorglich um Verzeihung – ehe die aufgebrachte Presse in der Heimat ihr vernichtendes Urteil fällte.

Als "Schande" bezeichnete die Zeitung "Fotomac" das historisch schlechte EM-Abschneiden der sogenannten Milli Takim. "Besiegt, zerquetscht, erschöpft", titelte "Türkiye Gazetesi". Und "Fanatik" druckte nach dem ernüchternden 1:3 (0:2) gegen die Schweiz eine unmissverständliche Botschaft: "The End". Dem türkischen Nationalteam stehen unruhige Wochen bevor.

"Wir haben unsere Fans sehr enttäuscht. Und das hat uns wiederum sehr traurig gemacht", sagte Calhanoglu, der als großer Hoffnungsträger nach einer starken Saison beim AC Mailand ins Turnier gestartet war, die Erwartungen aber nicht erfüllen konnte. Wichtig sei nun, "aus unseren Fehlern zu lernen und nach vorn zu schauen".

Forderungen

Fraglich ist, in welcher Konstellation die Türkei nun die bislang erfolgreiche Qualifikation für die WM 2022 (sieben Punkte aus drei Spielen) in Katar fortführen wird. Die Forderungen nach einem Rücktritt von Senol Günes sind jedenfalls lauter denn je. Dem erfahrenen Nationalcoach werden falsche Aufstellungen, schlechte Taktiken und nicht zuletzt die katastrophalen Ergebnisse bei der EM angehängt.

Doch der 69-Jährige, der die Türkei in seiner ersten Amtszeit bei der WM 2002 auf Platz drei geführt hatte, klammerte zunächst noch. "Aktuell denke ich nicht an einen Rücktritt. Man kann später darüber diskutieren und eine Entscheidung treffen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es richtig ist, die Arbeit aufzugeben und wegzurennen", sagte Günes am Sonntagabend.

Bei null Punkten, acht Gegentreffern, nur einem erzielten Tor und ganz schwachen Auftritten dürften ihm allerdings die Argumente ausgehen. Und das, obwohl die Türkei unter Günes zuvor mit einer starken Qualifikation die hohen Ambitionen erst entfacht hat.

"Sie konnten es nicht"

Da holte das Team 23 Punkte aus zehn Spielen und besiegte etwa Weltmeister Frankreich zu Hause mit 2:0. Defensiv waren die Türken extrem stabil, kassierten nur drei Gegentore – kein Vergleich zur Endrunde. "Wir sind mit großen Zielen zum Turnier gekommen, wir haben geträumt", sagte Calhanoglu. Günes wollte, "dass meine Spieler sich zeigen. Doch sie konnten es nicht und sind sehr traurig deswegen." Verteidiger Merih Demiral von Juventus Turin versuchte gar nicht erst, das Aus schönzureden "Wenn die Erwartungen hoch sind, ist auch das Bedauern hoch."

Und während Günes trotz aller Kritik versprach, dass diese Mannschaft "die nächsten zehn Jahre dominieren und Erfolge verbuchen" werde, zeichnete Christoph Daum ein deutlich schlimmeres Bild. Diese EM werde wieder einmal "eine Zäsur", hatte der 67-jährige Deutsche, der lange in der Türkei gearbeitet hatte, bereits vor dem letzten Gruppenspiel in der Bild-Zeitung kommentiert. "Die türkischen Medien lassen zu Recht kein gutes Haar am Team, weil man bei der individuellen Klasse viel mehr erwarten durfte", erklärte Daum. Dass das Turnier für die Türkei nach der Vorrunde vorbei sein würde, hätte auch er "nie gedacht". (sid, APA, red, 21.6.2021)