Wirecard heute: Das Gericht ermittelt, der U-Ausschuss läuft. Ein Ex-Manager und Ex-Mitarbeiter sitzen in U-Haft, ein anderer ist auf der Flucht.

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Am 25. Juni des Vorjahres wurde gewiss, was bis dahin viele nicht wahrhaben wollten: Wirecard meldete Insolvenz an. Knapp zwei Milliarden Euro haben damals in der Bilanz gefehlt. Der Zahlungsdienstleister ist innerhalb weniger Tage zusammengebrochen.

Markus Braun, bis dahin Chef von Wirecard, stellte sich damals vor die Medien und sagte, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass Wirecard Opfer eines Betrugs erheblichen Ausmaßes geworden sei. Heute sitzt Braun in Deutschland in U-Haft und wartet auf seine Anklage. Das Gericht wird letztlich klären müssen, was sich beim Zahlungsdienstleister wirklich abgespielt hat.

Wo ist das Geld?

Denn die fehlenden zwei Milliarden Euro geben bis heute Rätsel auf. Wurde dieses Geld unrechtmäßig und gut getarnt aus dem Unternehmen geschleust? Gab es dieses Geld je wirklich, oder wurde es durch Luftbuchungen erzeugt?

Licht in dieses Dunkel könnte wohl Brauns Vorstandskollege Jan Marsalek bringen. Er zeichnete für das Drittpartnergeschäft in Asien verantwortlich. Drittpartnerverträge wurden immer dort abgeschlossen, wo das Unternehmen keine eigene Lizenz hatte. Kooperationsverträge dieser Art hat es bei Wirecard zuhauf gegeben.

Doch von Marsalek fehlt jede Spur. Er wurde ein paar Tage vor der Insolvenz freigestellt und verließ die Zentrale in Aschheim bei München mit den Worten, das fehlende Geld aufspüren zu wollen. Seither ist der Ex-Manager mit Verbindungen zu diversen Geheimdiensten flüchtig.

Oft hinterfragt

Die Geschäfte der Wirecard wurden über die Jahre hinweg oft hinterfragt. 2010 kam Wirecard mit den US-Behörden in Konflikt wegen des Verdachts der Geldwäsche. Über ein Büro in Florida sollen jahrelang Schecks an Scheinfirmen ausgezahlt worden sein. Rund 70 Millionen Dollar wurden so ausbezahlt.

Im Jahr 2016 prangerte der mittlerweile vielzitierte Zatarra-Report die Geschäftspraktiken von Wirecard an. Mit einem Schlag standen der Verdacht auf Geldwäsche, Scheingeschäfte und aufgeblasene Umsätze im Raum.

Aufgenommen wurden diese Verdachtsmomente nicht. Auch kritische Medienberichte, die über die Jahre hinweg erschienen sind, wurden negiert. Von Wirecard – was noch verständlich ist; wer will schon schlechte Presse? Aber auch von den Aufsichtsbehörden. Kritik an Wirecard war ein No-Go.

Vor wenigen Wochen erschien die Dokumentation "Wirecard – Die Milliarden-Lüge" (von Sky und RBB/ARD), die eine Schattenwelt ins Scheinwerferlicht stellte. Mehrere ehemalige Mitarbeiter kommen dort zu Wort und erzählen, was ihnen komisch am Gebaren der Wirecard vorgekommen war.

Was passierte in den Partnerfirmen?

In Dubai, wo der größte Partner im Drittpartnergeschäft angesiedelt ist, wusste nicht mal der Country-Manager, was in diversen Wirecard-Einheiten passierte. Wirecard-intern wurde auch klargemacht, hier nicht allzu viel nachzufragen.

Ebenso war es in Singapur. Der dortige Senior Legal Counsel, Pav Gill, merkte nach wenigen Wochen, dass mit den Zahlen von Wirecard etwas nicht stimmen konnte. Dass die Profite bei Wirecard im Laufe der Zeit immer nur gestiegen sind, wo doch die Tochterfirmen im asiatisch-pazifischen Raum nur Verluste machten, konnte Gill sich nicht erklärten.

Gegen den Rat von Wirecard, nicht zu viele Fragen zu stellen, kam Gill recht schnell dahinter, dass Firmen in dieser Region erfunden worden waren, an die Geld ausbezahlt worden war. Gill konnte folglich auch gefälschte Rechnungen und Kontoauszüge vorweisen, in denen Überweisungen an Unternehmen aufgetaucht waren, zu denen Wirecard gar keine Geschäftsbeziehung hatte. Das System der Scheingeschäfte lag damit offen.

Nur sehen wollte man es nicht. Weder bei Wirecard noch bei den Behörden. Erst die Kooperation mit dem Investigativjournalisten Dan McCrum, der als einer der wenigen Wirecard über die Jahre hinweg auf den Zahn fühlte, brachte letztlich die Lawine der Zweifel ins Rollen. Investoren wurden nervös, der bis dahin die Wirecard-Bilanz prüfende Wirtschaftsprüfer EY ebenso. Nun war die Geschichte vom erfolgreichen Zahlungsdienstleister nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Eine Sonderprüfung von KPMG ergab nach einer Prüfzeit von sechs Monaten, dass nicht mit Sicherheit gesagt werden könne, ob es das Drittpartnergeschäft in dieser Form überhaupt je gegeben habe.

Aus der Traum

Seit vergangenem Sommer wird die Causa nun aufgearbeitet. Das Straflandesgericht München ermittelt. Im seit Herbst 2020 laufenden U-Ausschuss haben bisher weder involvierte Bilanzprüfer noch Finanzaufseher wirkliche Versäumnisse eingeräumt. Es gab wohl den ein oder anderen Verdacht, aber keine Beweise; so die bisherige grobe Zusammenfassung. Die Finanzaufsicht Bafin hat in der Folge jedoch den Chefsessel neu besetzt.

Der Schaden, den der Fall von Wirecard verursacht hat, summiert sich auf rund 23 Milliarden Euro. Gegen EY wurden hunderte Klagen eingebracht wegen mutmaßlicher Verletzung der Prüf- und Sorgfaltspflicht. Die Anklage gegen die Ex-Wirecard-Chefs steht noch aus. Fix ist: Der Fall wird die Gerichte noch jahrelang beschäftigen.

U-Ausschuss-Bericht

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Deutschland hat am Montag übrigens den Abschlussbericht beschlossen. Das sagten mehrere Ausschussmitglieder zu Reuters. In sogenannten Sondervoten macht die Opposition der Regierung und ihren Behörden dabei schwere Vorwürfe. Die Große Koalition einigte sich unterdessen nicht auf gemeinsame Schlussfolgerungen aus dem Fall. Vor allem die Verantwortung des deutschen Finanzministers und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sehen viele Parteien im Deutschen Bundestag kritisch, während die SPD ihn von allen Vorwürfen entlastet sieht. (Bettina Pfluger, 22.6.2021)