Laut Andreas Schieder ist der Export von Schweinshaxen wichtiger als Menschenrechte.

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Von einer Hitzewelle wie in Österreich ist der EU-Abgeordnete Andreas Schieder weit entfernt: In Brüssel ist es frisch, der langjährige SPÖ-Politiker empfängt im Pullover zum Zoom-Gespräch. In den vergangenen Jahrzehnten hat er viele Stationen durchlaufen: Wiener Landtagsabgeordneter, Staatssekretär, Klubobmann – und Wiener Bürgermeister wollte er auch werden. Seit Juli 2019 ist Schieder EU-Abgeordneter und kümmert sich nun um Brexit, die Arktis und Geopolitik statt um die heimische Innenpolitik.

STANDARD: Mit Blick auf aktuelle Krisen wie Belarus ist viel die Rede von einer "werteorientierten" Außenpolitik der EU. Existiert die wirklich?

Schieder: Menschenrechte, Arbeitnehmerschutz, Klimaschutz spielen eine Rolle, die EU denkt Außenpolitik breiter, auch ein Lieferkettengesetz oder moderne Handelsabkommen sind Ausdruck einer werteorientierten Außenpolitik. Das unterscheidet die EU von anderen globalen Akteuren. Aber natürlich ist Außenpolitik auch immer ein Abwägen. Mit den USA hat man unter einem US-Präsidenten Joe Biden jetzt aber wieder mehr Überschneidungen.

STANDARD: Agieren die nationalen Regierungen auch so werteorientiert?

Schieder: Im Großen und Ganzen ja, im Detail … Das Thema Belarus hat schon gezeigt, dass ein schnelles und einheitliches Agieren auf Menschenrechtsbrüche immer wieder durch nationale Egoismen behindert wird. Nach den gestohlenen Wahlen in Belarus hat Zypern blockiert, weil man wollte, dass gleichzeitig türkische Erdölbohrungen verurteilt werden – es ist ein Irrsinn, so etwas zu verbinden, auch wenn das Anliegen an sich berechtigt ist. Das zeigt deutlich, wie schädlich der Zwang zur Einstimmigkeit in der EU-Außenpolitik ist.

STANDARD: Österreich soll wegen der Sanktionen gegen Belarus an sich blockiert haben?

Schieder: Die österreichische Bundesregierung hat wohl ernsthaft versucht, Finanzsanktionen zu verwässern, immerhin ist der Raiffeisen-Konzern mit besten Verbindungen zur türkisen Kanzlerpartei ein großer finanzieller Player in Belarus. Der öffentliche Druck hat dann geholfen, Außenminister Schallenberg stellt das jetzt alles als großes Missverständnis dar. Wie dem auch sei, ich erwarte mir, dass die österreichische Außenpolitik eindeutig von europäischen Werten getragen wird.

STANDARD: Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass sich Österreich querstellt?

Schieder: Erinnern wir uns an die Strafmaßnahmen gegen Russland: Die Ersten, die laut aufgeschrien haben, waren damals Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer. Plötzlich war es dann wichtiger, Schweinshaxen nach Russland zu exportieren, als sich mit Fragen der Medienfreiheit, Demokratie und des Völkerrechts zu beschäftigen. Das darf nicht sein.

STANDARD: Handelt das EU-Parlament wirklich anders?

Schieder: Sehr oft nimmt das EU-Parlament eine Vorreiterrolle ein, was Menschenrechte und Handelspolitik betrifft. So versuchen wir, Druck auf Rat und Kommission zu machen. Aber die Kompetenzen sind immer noch nicht klar aufgeteilt, man denke an den Türkei-Besuch: Soll der Ratspräsident fahren oder die Kommissionspräsidentin? Dann fahren gleich beide, was eigentlich zu viel Ehrerbietung vor dem türkischen Despoten bedeutet, und dann endet das auch noch im "Sofagate" – geeintes und planvolles Vorgehen sieht anders aus.

STANDARD: Aber wie erfolgreich ist die europäische Diplomatie, zum Beispiel mit Blick auf die Türkei?

Schieder: Wie eingangs erwähnt, Außenpolitik hat natürliche Grenzen. Wenn der türkische Staatspräsident seine Machtmöglichkeiten voll ausnutzt, etwa beim Thema Flüchtlinge, dann haben wir wenig Spielraum, wir sind auf eine Kooperation angewiesen. Das heißt nicht, dass man das repressive Vorgehen gegenüber Opposition und Medien kommentarlos hinnimmt, aber am Schluss hat Außenpolitik nur so und so viele Instrumente – und keines, mit dem man die Zustände in der Türkei von einem Tag auf den anderen ändern kann. Das trifft auch auf unser Verhältnis zu anderen autoritären Staaten wie Russland zu. Wir müssen einen Mittelweg zwischen Kooperation und Konfrontation finden.

STANDARD: Gleichzeitig versucht Russland, vor allem über Rechts-außen-Parteien Einfluss auf die europäische Politik an sich zu nehmen.

Schieder: In Europa oder in dessen Randgebiet, zum Beispiel auf dem Balkan, versucht Russland hineinzuspalten. Dazu nutzt die russische Führung Desinformationskampagnen und finanziert Rechtsextreme. Zu diesem Thema gibt es derzeit einen Untersuchungsausschuss im EU-Parlament, da fallen die Namen Strache, Salvini, Le Pen: Es gibt Geldgeschenke; es gibt Kredite russischer Banken, die man nie zurückzahlen muss; es gibt Know-how über Trollfarmen, das weitergegeben wird. Wir müssen uns in Europa nun wappnen.

STANDARD: Wie sehr spürt man den russischen Einfluss auf Rechts-außen-Parteien im EU-Parlament, zum Beispiel beim Abstimmungsverhalten?

Schieder: Man spürt das bei jedem politischen Thema. Wenn da nur ein Funken von Kritik an Russland geäußert wird, meldet sich sofort jemand und sagt: "Nein, nein, so ist das nicht."

STANDARD: Wie ist das mit Blick auf China?

Schieder: Da ist das nicht so stark ausgeprägt. Die russische Seite veranstaltet ja Kongresse, bei einem haben wir damals als österreichisches Parlament teilgenommen. Da war eine Delegation dort, ich war dort, Reinhold Lopatka von der ÖVP, ein FPÖ-Außenpolitiker – und plötzlich waren mehrere andere Freiheitliche auch dort. Da waren sonst viele AfDler und Altkommunisten – eine schwierige Mischung.

STANDARD: Das gibt es bei China nicht?

Schieder: China setzt sehr traditionell auf formale Kontakte auf Augenhöhe. Ich hätte auch noch nicht gehört, dass ein rechter EU-Parlamentarier die antidemokratischen chinesischen Maßnahmen gegen Hongkong verteidigt hätte. Der chinesische Weg geht über Investitionen, die eine Art "Mausefallen"-Effekt haben: Man kriegt eine schöne Brücke, aber dann ist der Betrieb, sind die Kredite in chinesischer Hand. Der Vorwurf lautet dann oft: Europa verschläft, darauf adäquat zu reagieren.

STANDARD: Und warum verschläft Europa das?

Schieder: Die Chinesen tingeln durch den Westbalkan und offerieren Kredite. Europa bietet nicht nur günstige Kredite, sondern auch einfach Unterstützung: geschenktes Geld. Europa hat dem Westbalkan auch Impfstoffe geschenkt, China günstig verkauft. Ich glaube, die wichtige Rolle der EU auf dem Westbalkan wird teilweise absichtlich kleingeredet.

STANDARD: Dazu kommt der Kampf für verfolgte Christen, zum Beispiel in China, von Mitte-rechts-Politikern?

Schieder: Das ist immer ein Schwerpunkt konservativer Politiker, die Verfolgung von Christen herauszugreifen. Aber natürlich gehört das dazu: Wenn Menschen verfolgt werden, muss man für sie eintreten. Mir wäre halt recht, wenn die eingeforderte Toleranz auch in der heimischen Innenpolitik gelebt werden würde. (Fabian Schmid, 22.6.2021)