Es gibt sie tatsächlich, die vielzitierten Aluhutträger. Hier ein Vertreter dieser Verschwörungstheoretiker-Spielart bei einer Demonstration im August 2020 in Berlin gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung.

Foto: imago images/Jochen Eckel

Verschwörungserzählungen sind auch ein Akt der Verweigerung. Ihre Anhänger geben ein soziales Statement ab, das sich an Politik, Wissenschaft und andere Welterklärer richtet. Sie sagen: Ich rebelliere gegen deine Wahrheit, weil ich deine Macht nicht akzeptieren will. Es ist eine Art Selbstermächtigung auf alternativem Wege. So gesehen muss der Kampf gegen die Realitätsverweigerung auch auf sozialem Weg geschehen.

Wer Teilen der Bevölkerung vermittelt, dass sie machtlos sind, wird sie verlieren. Ein Antagonisieren dieser Menschen treibt sie noch weiter in ihre Scheinwelten. Dagegen müsste, wie bei jeder Art von Parallelgesellschaft, Inklusion und sozialer Zusammenhalt gestärkt werden – umso mehr, als auch manche politischen Kräfte die Verschwörungsgeschichten instrumentalisieren, um ebenjenen sozialen Zusammenhalt zu schwächen.

Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen ist in der Gegenwart stark mit dem Aufstieg von Social Media verbunden. In unsicheren Zeiten bekommt der Trend nun einen neuen Schub. In der größten Gesundheitskrise einer Generation kostet ihr zersetzendes Wesen tatsächlich Menschenleben – etwa wenn aus Angst vor einer von dunklen Kräften gesteuerten "Plandemie" Covid-Impfungen verweigert werden.

Soziale Auswirkungen

In diesem Umfeld versuchen Wissenschafter, die sozialen Mechanismen hinter dem Verschwörungsglauben besser verstehen zu lernen. Einer von ihnen ist Loukas Balafoutas, der als Verhaltensökonom am Institut für Finanzwissenschaft der Uni Innsbruck tätig ist. Eines seiner Laborexperimente deutet darauf hin, dass die sozialen Auswirkungen der Verschwörungen eine größere Dimension haben könnten als bisher gedacht.

In dem Experiment untersuchen Balafoutas und sein Team, ob der Konsum von Verschwörungserzählungen verhaltensverändernde Auswirkungen auf Menschen hat, auch wenn man nicht an sie glaubt.

"Bisher standen Forschungen im Vordergrund, die die direkten Effekte von Verschwörungserzählungen untersuchten, also etwa ob ihre Anhänger ihr Wahlverhalten ändern. Wir fragen nach einem indirekten Effekt – insofern war die Idee neu", sagt der Verhaltensökonom. Erwähnenswert ist, dass die Studie, die kürzlich im Journal "Economic and Political Studies" publiziert wurde, noch in der Zeit vor der Corona-Krise und dem damit einhergehenden Verschwörungsboom durchgeführt wurde.

Experiment

Die Idee des Experiments: Die Forschenden teilten 144 Probanden in zwei Gruppen. Die einen sahen sich ein dreiminütiges Nasa-Video zum Space-Shuttle-Programm an, die anderen ein ebenso langes Video des berüchtigten US-Senders Fox News, das die Mondlandungen in Zweifel zieht und dabei die üblichen Argumente bringt – etwa die US-Flagge, die angeblich der Wind bewegt, oder der Schattenwurf, der nicht schlüssig erscheint.

Im Anschluss wurde von beiden Gruppen ein sogenanntes Money-Request-Game gespielt, bei dem es darum geht, den eigenen Gewinn zu maximieren. Die Spieler müssen Gebote innerhalb eines gewissen Rahmens abgeben, die aber niedriger als jene des Gegenspielers ausfallen sollten – denn dann wird nicht nur das Gebot ausbezahlt, sondern auch ein zusätzlicher Gewinnbetrag. Optimale Gebote hängen also wesentlich von der Einschätzung des Verhaltens des Gegenspielers ab.

Eine der bekanntesten Verschwörungserzählungen besagt, dass die Mondlandungen der USA inszeniert waren. Um das zu untermauern, haben Anhänger der Geschichte Unmengen an Indizien zusammengetragen.
Foto: Imago / NASA / Cinema Publishers Collection

Verhaltensänderung

Jene Probanden, die kurz davor mit der Verschwörungserzählung konfrontiert worden waren, agierten im Spiel nun anders als ihre Kollegen – sie gaben geringere Gebote ab. Die Skepsis angesichts der Verschwörungserzählung hat sich offenbar auf die Handlungen danach übertragen. "Diese Verhaltensänderung ist jetzt nicht von vornherein gut oder schlecht", erklärt Balafoutas.

"Einerseits kann es Vorteile bringen, strategischer zu handeln, wie es diese Probanden taten. Andererseits verpasst man auch Möglichkeiten und verzichtet auf Gewinne, wenn man zu skeptisch ist." Jedenfalls zeige aber die Verhaltensänderung, dass die Verschwörungserzählung Einfluss darauf hat, wie Menschen die Welt und ihre Mitmenschen wahrnehmen. Und für den sozialen Zusammenhalt ist eine Überbetonung von Skepsis nicht vorteilhaft.

Spezialforschungsbereich

Bei einem zweiten Spiel wurde auf ähnliche Weise untersucht, ob die Verschwörungserzählungen das Vertrauen zu den Mitmenschen beeinflussen. Die gute Nachricht: "Hier konnte keine signifikante Verhaltensabweichung nachgewiesen werden – obwohl das nach dem ersten sehr eindeutigen Ergebnis durchaus erwartbar gewesen wäre", sagt der Forscher.

Weitere experimentelle Wirtschaftsforschung rund um Verschwörungstheorien, asymmetrische Informationslagen und Fake-News soll laut Balafoutas folgen. Sie ist im Spezialforschungsbereich "Vertrauensgüter, Anreize und Verhalten" verortet, der 2021 mit Mitteln des Wissenschaftsfonds FWF verlängert wurde, aber auch im Forschungszentrum Innsbruck Decision Sciences (IDS). Dieses hat die Erforschung menschlichen Verhaltens in ökonomischen Entscheidungssituationen im Kontext der Digitalisierung im Fokus.

Kritisch hinterfragen

Um den Einfluss von Verschwörungserzählungen einzudämmen, hat auch Balafoutas kein Patentrezept: "Natürlich soll man die Realität, die etwa über Nachrichten vermittelt wird, kritisch hinterfragen. Wer an Verschwörungserzählungen glaubt, macht aber genau das Gegenteil."

Hier werden keine Fakten gesammelt, sondern selektiv Argumente anerkannt, die zu bestehenden Thesen passen. Widersprüchlichkeiten werden nicht akzeptiert. Deshalb ist es auch so schwierig, gegen die Erzählungen vorzugehen, sagt der Verhaltensökonom. "Letztendlich müssen wir versuchen, den Menschen bessere Antworten zu geben. Stillt man ihre Informationsbedürfnisse nicht mit faktenbasierten Erklärungen, besteht die Gefahr, dass die Verschwörungserzählungen das Vakuum füllen." (Alois Pumhösel, 28.6.2021)