Politikwissenschafter Rainer Bauböck verleiht in seinem Gastkommentar der Hoffnung Ausdruck, dass jetzt endlich eine Debatte über Doppelstaatsbürgerschaften beginnt. Dass es die nur für Auslandsösterreicher geben soll, hält er für inakzeptabel.

Die SPÖ hat sich dazu durchgerungen, für eine Liberalisierung der österreichischen Staatsbürgerschaft einzutreten. Sie will, dass in Österreich geborene Kinder, deren Eltern mindestens fünf Jahre legal in Österreich leben, die Staatsbürgerschaft automatisch bekommen, dass nicht nur EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, sondern auch Drittstaatsangehörige sich generell nach sechs statt zehn Jahren einbürgern lassen können, dass die Einkommenshürden und hohen Gebühren gesenkt werden und dass der wenig sinnvolle Wissenstest durch einen Staatsbürgerschaftslehrgang ersetzt wird. Das Paket wäre ein grundsätzlicher Wandel zu einer inklusiven Staatsbürgerschaft, außer bei einer Frage, in der Österreich sich vom internationalen Trend abgekoppelt hat.

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Die Debatte über den richtigen Weg zum rot-weiß-roten Pass führt auch zum Thema Doppelstaatsbürgerschaften.
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Zur Doppelstaatsbürgerschaft weist die SPÖ lediglich darauf hin, dass jene, die freiwillig eine fremde Staatsbürgerschaft erwerben, die österreichische verlieren. Die Sozialdemokraten "wollen, dass der Zugang zur Doppelstaatsbürgerschaft nach klar nachvollziehbaren Kriterien erleichtert wird". So weit, so unklar. Auch bei den Neos und Grünen scheint es in dieser Frage parteiintern Differenzen zu geben.

Strenge Regeln beibehalten

Wie ein jüngst erschienenes Buch dokumentiert, gehört Österreich zu jener schrumpfenden Minderheit von Staaten (18 Prozent von 175 untersuchten), die Doppelstaatsbürgerschaft weder für Auswanderer noch für Einwanderer tolerieren. Der SPÖ-Text bezieht sich aber nur auf die Probleme von Österreicherinnen und Österreichern im Ausland, die die Staatsbürgerschaft ihres Gastlandes annehmen wollen. Nun hat der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer, der sich im Herbst der Wahl stellen muss, diesen Ball aufgegriffen. Er tritt – entgegen der Linie der Bundes-ÖVP – dafür ein, dass Doppelstaatsbürgerschaften für Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher toleriert werden, will aber die strengen Regeln für die Einbürgerung in Österreich beibehalten. Also: Doppelstaatsbürgerschaft ja, aber nur für unsere Leute?

Diese Haltung vertreten in Europa nur mehr die Balkanstaaten. Sie mag politisch populär sein, ist aber rechtlich und moralisch inakzeptabel. Erstens verletzt sie ein Gebot der Gleichbehandlung von Personen in gleichen Situationen. Migrantinnen und Migranten in Österreich brauchen aus genau denselben Gründen die Staatsbürgerschaft ihres Aufenthaltslandes wie Österreicherinnen und Österreicher, die sich anderswo niedergelassen haben. Für beide Gruppen ist das Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft das größte Hindernis für die Annahme der Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie leben. Zweitens hat die Republik Österreich nicht nur ein Interesse daran, dass Österreicherinnen und Österreicher im Ausland ihre Verbindungen zum Herkunftsland behalten, sondern ebenso daran, die Einbürgerung der Zugewanderten zu fördern, um den Ausschluss einer rapide wachsenden Bevölkerungsgruppe vom Wahlrecht zu vermeiden. Und drittens widerspricht asymmetrische Toleranz von Doppelstaatsbürgerschaft auch dem Grundsatz der Reziprozität im internationalen Recht.

Bewegung in der Debatte

Als Test dafür kann man den kategorischen Imperativ Immanuel Kants heranziehen: Handle auch als Staat so, dass du wollen kannst, dass deine Gesetze von allen anderen Staaten beschlossen werden. Würden alle Staaten Doppelstaatsbürgerschaft nur für ihre Auswanderer tolerieren, dann gäbe es auch für diese keine Doppelstaatsbürgerschaft. Die Auswanderer des einen Staates sind ja immer die Einwanderer eines anderen. Wenn Österreich die Doppelstaatsbürgerschaft nur für Bürgerinnen und Bürger im Ausland erlaubt und deren Gastländer genauso handeln, dann müssen die Österreicherinnen und Österreicher ihre bisherige Staatsbürgerschaft zurücklegen, um sich dort einbürgern zu lassen. Innerhalb der EU ist eine solche Asymmetrie jedenfalls völlig inakzeptabel. Deutschland toleriert daher Doppelstaatsbürgerschaften mit anderen EU-Staaten ohne Einschränkungen.

Trotzdem sind die aktuelle Kampagne von Auslandsösterreicherinnen und -österreicher und die Wortmeldung von Stelzer zu begrüßen, weil sie Bewegung in eine festgefahrene Debatte bringen. Auch in Schweden und Finnland waren es die Organisationen der Emigrantinnen und Emigranten, die Anfang der 2000er-Jahre ein Umdenken in dieser Frage bewirkten. Die Parlamente waren jedoch überzeugt, dass gleiches Recht auch für Immigrantinnen und Immigranten gelten muss, und beschlossen die vollständige Toleranz für Doppelstaatsbürgerschaften mit allen Staaten, egal ob sie bei Geburt, durch Auswanderung oder Einwanderung entstehen. Vielleicht braucht es auch hierzulande diesen Anstoß für eine überfällige Reform. (Rainer Bauböck, 23.6.2021)