Im Synapsendschungel: Kalziumkanäle sind rot, Neurotransmitter blau. Die grün gefärbten Nervenzellen ohne a2d-Proteine können keine funktionierenden Synapsen bilden.

Foto: Cornelia Ablinger, Gerald Obermair

Nerven stehen unter Strom: Ionenströme leiten die Reize in den Nervenzellen weiter. Damit in den Synapsen Signale von einer Nervenzelle zur anderen gelangen, braucht es sogenannte spannungsgesteuerte Kalziumkanäle. Sie regulieren die Ausschüttung von Botenstoffen an den Schnittstellen und damit Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnisbildung.

Untereinheiten der Kanäle, sogenannte Alpha-2-delta-(a2d-)Proteine, könnten aber schon für einen viel früheren Schritt essenziell sein, nämlich für die Bildung der Synapsen selbst. Dies fanden Forschende an der Karl-Landsteiner-Privatuniversität Krems und der Medizinischen Universität Innsbruck heraus.

Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs für Physiologie in Krems, fasst die Ergebnisse zusammen: "Ohne diese Proteine können sich keine funktionellen Synapsen ausbilden. Wir haben jetzt die Hypothese, dass a2d-Proteine eine Schlüsselposition einnehmen und damit für die Organisation der anderen Bausteine verantwortlich sind." Die Studie, die im Frühjahr im Fachjournal "PNAS" erschien, stellt den vorläufigen Höhepunkt von zehn Jahren Forschungsarbeit dar.

Synaptische Funktionen

Besagte a2d-Proteine sind Teil spannungsgesteuerter Kalziumkanäle, die aus verschiedenen Untereinheiten mit eigenen Funktionen aufgebaut sind. Die Aufgabe der a2d-Proteine ist es, den Kalziumeinstrom in den Nervenzellen zu regulieren.

Kalzium löst wiederum die Ausschüttung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt und damit die Weiterleitung von Signalen aus. Die Proteine steuern nicht nur wichtige Gedächtnisfunktionen, sondern sind außerdem bekannt als Angriffspunkt des Medikaments Gabapentin, welches zur Behandlung von Epilepsie und vor allem chronischen Nervenschmerzen verwendet wird.

Für die Bildung von Synapsen und die gegenseitige Verankerung zwischen zwei Nervenzellen wurden jedoch bisher andere Zelloberflächenproteine vermutet. "Man hat über ihre Funktion als Regulatoren der Kalziumkanäle hinaus bis vor einigen Jahren wenig gewusst. Dann hat sich herausgestellt, dass a2d-Proteine vermutlich auch eine wichtige synaptische Funktion haben. Das hat mein Interesse geweckt", sagt Obermair.

Entscheidende Rolle der Proteine

Um diese Rolle in der Synapsenbildung zu untersuchen, unterdrückte das Team die genetische Herstellung der a2d-Proteine und beobachtete die Auswirkungen auf im Labor kultivierte Nervenzellen. Obermair: "Es fehlten nicht nur die Kalziumkanäle auf der präsynaptischen Seite, was man vermutet hätte, sondern auch ganz viele wichtige Komponenten für die synaptische Übertragung. Wir haben damit eine ganz eine entscheidende Rolle dieser Proteine in der Bildung der Synapsen entdeckt."

Im Gehirn liegen a2d-Proteine in drei leicht unterschiedlichen Varianten vor, die sich bis zu einem gewissen Grad gegenseitig ersetzen können. Als die Wissenschafter eine der drei Formen einzeln in das Zellkulturmodell mit den defekten Synapsen zurück einbrachten, konnte die prä- und postsynaptische Verankerung wiederhergestellt werden.

Dieses systematische Ein- und Ausschalten von Genen, um zu beobachten, was das Fehlen der entsprechenden Proteine bewirkt, ist ein ganz normales Vorgehen in der Wissenschaft. Die Schwierigkeit im Fall der a2d-Proteine lag darin, dass jede der drei Formen durch ein eigenes Gen kodiert wird. Die Forscher mussten also nicht nur ein Gen ausschalten, sondern drei, was zu entsprechend langwierigen Vorbereitungen und Experimenten führte.

Mechanismen aufklären

Das Projekt begann bereits 2011, als Obermair noch an der Medizinischen Universität Innsbruck forschte, wo er heute noch in Teilzeit tätig ist. Schritt für Schritt wurden Methoden entwickelt, um die Gene stabil auszuschalten und die Fragestellungen experimentell zu beantworten. Auch Kooperationen mit Arbeitsgruppen an der Universität Münster und am IST Austria in Klosterneuburg trugen zum Forschungserfolg bei. Finanziert wurde das Team durch Förderungen des Wissenschaftsfonds FWF.

Basierend auf den gefundenen Hypothesen plant Obermair mit seinem Team im neuen Forschungsschwerpunkt Mental Health and Neuroscience in Krems bereits neue Versuche. Wenn a2d-Proteine tatsächlich das Zentrum sind, um das Synapsen gebildet werden, gilt es nun, ihre Bindungspartner zu identifizieren und die genauen Mechanismen aufzuklären.

"Uns interessiert, ob wir da nicht eine Möglichkeit hätten, in synaptische Funktionen gezielt einzugreifen, ohne Kalziumkanäle im Ganzen blocken zu müssen, wie es zum Teil bei herkömmlichen Therapieansätzen gemacht wird", sagt Obermair. Das könnte in Zukunft auch bei der Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen nützen. (Markus Plank, 1.7.2021)